Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
fotografiert hatte – wahrscheinlich in den verlorenen fünf Minuten. Seine Hand zitterte leicht, während der Finger über der Bildwiedergabe schwebte.
Dann schaltete er die Kamera ab und verließ hastig das Bad.
Nachdem Robert gegangen war, stellte Nadja ein paar belanglose Fragen, auf die sie ebenso unbefriedigende Antworten wie zuvor erhielt. Schließlich gab sie es auf. Eine oder zwei Minuten schwiegen sie sich an, bis der junge Mann sie auf einmal anschaute.
»Haben Sie eigentlich Lust, dabei zu sein?«, fragte Boy X zusammenhanglos.
»Was meinen Sie?«
»Heute Abend. Ich kann Ihnen zwei Backstage-Karten geben. Wir könnten das Interview fortsetzen. Abends bin ich immer besser drauf.«
Nadja dachte nach. Dann nickte sie. »In Ordnung. Ich hätte da schon noch ein paar Fragen. Wann sollen wir da sein?«
»Die Show fängt um acht Uhr an. Eine Viertelstunde vorher wäre gut. Und danach sehen wir weiter.« Boy X erhob sich schwerfällig und schlurfte wie ein alter, sehr dicker Mann in den Hauptraum. Dabei war er hochgewachsen und gertenschlank, jede Menge jugendliche Energie hätte in ihm stecken müssen. »He, Eli, wo sind die Backstage-Karten?«
Seine Betreuerin, die wie ein nervöser Apportierhund auf einer Sessellehne gekauert hatte, sprang auf. »Wofür brauchst du die?«
»Für die zwei hier.« Boy X deutete auf Nadja und Robert, der soeben aus dem Bad eintraf.
Eliettes Augen verengten sich. »Das halte ich nicht …«
»Mir scheißegal, was du wofür hältst«, unterbrach der Jungstar grob. »Du tust, was ich dir sage, und wenn du nicht spurst, fliegst du raus. Also gib sie ihnen, und dann verzieh dich. Ich brauch Ruhe.« Er nickte Nadja zu. »Bis heute Abend.« Dann schlurfte er Richtung Schlafzimmer.
Die beiden Journalisten erhielten die Backstage-Karten und verabschiedeten sich höflich, auch von Eliette. Vor der Tür wurden sie von dem Security-Mann in Empfang genommen und bis zum Hotelausgang begleitet.
Robert ging nur zwei Meter weit, dann steckte er sich eine Gitanes an und saugte gierig. »Das wird eine Heidenarbeit am Computer«, stöhnte er. »Bis ich da ein annehmbares Bild zustande kriege …«
»Man sollte denken, dass bei einem Jungstar die Welt wenigstens einigermaßen in Ordnung ist«, sagte Nadja kopfschüttelnd. »Fehlt nur noch Michel Serrault, und wir stecken in einem Käfig voller Narren.«
»Ich erinnere mich mehr an ›Das Verhör‹«, brummte Robert.
»Sicher, wie könnte es bei dir auch anders sein. Mit Lino Ventura als Kommissar, richtig?«
»Ja, und Romy Schneider. Ein Dialog-Highlight, von dem sich viele Autoren eine Scheibe abschneiden könnten. Ich habe den Bericht über Michel Serraults Beerdigung damals gelesen. Da war alles dabei, was Frankreich an Rang und Namen zu bieten hatte.«
»Michel Serrault war ein sehr individualistischer, begnadeter Schauspieler. Er wird der französischen Theaterszene sehr fehlen. Irgendwie hatte er etwas Faunhaftes an sich.«
Robert trat die Kippe aus. »Du wirst langsam seltsam, Nadja, überall siehst du nur noch Faune und Elfen lauern.«
Sie grinste. »Und du? Hast du das Gesicht im Spiegel gefunden? Deswegen bist du doch ins Bad gegangen, nicht wahr, weil du gehofft hast, dort die Muse zu finden? Für deinen Roman?«
Sie hatte den Eindruck, als zuckte er leicht zusammen. Ein verräterischer Ausdruck schien über sein Gesicht zu huschen. Doch höchstens eine Sekunde, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Ich weiß nicht.« Robert hob die Schultern. »Ich habe nach Drogen, Pillen oder wenigstens irgendwelchen verräterischen Zeichen gesucht, doch es ist alles klinisch sauber. Nicht mal ein Fläschchen aus der Minibar oder gar ein Kondom, und das in diesem Alter! So, wie der Junge im Sofa hing, wäre er nicht in der Lage gewesen, alles vor uns zu verstecken, und seine Aufpasserin ist sowieso unfähig. Das ergibt alles keinen Sinn.« Er nestelte die nächste Zigarette aus der Schachtel und steckte sie an, während sie sich auf dem Weg zur Metro machten.
Nadja wusste, dass Robert ihr etwas verschwieg. Und dass er Angst hatte. Aber sie würde ihn nicht drängen. Solche Anwandlungen hatte er schon früher gehabt; irgendwann erzählte er ihr alles.
Sie hängte sich an seinem Arm ein. »Nein, mir gefällt das auch nicht. Ich bin umso mehr auf heute Abend gespannt, ob der Junge sich dann anders verhält – und wie sein Song tatsächlich ist.«
Der große Premieren-Auftritt von Boy X sollte im Rahmen einer Musikshow von
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