Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
zog Nadja mit sich. »Verzeihen Sie die Störung. Wir warten um Viertel vor neun hinter der Bühne auf Sie.«
»Danke.« Charles wirkte erleichtert. »Sie werden Ihr Interview bekommen, das verspreche ich Ihnen.«
Die beiden Journalisten brachten die Zeit schnell herum. Hinter der Bühne gab es einen Warteraum mit Bildschirm, wo sie die Show mitverfolgten. Sie war weder besser noch schlechter als vergleichbare deutsche Sendungen, und Nadja empfand sie mindestens ebenso peinlich, was die Zurschaustellung betraf.
Je näher die Zeiger auf neun Uhr vorrückten, desto mehr Unruhe trat im Publikum ein. Die Leute konzentrierten sich kaum mehr auf die bedauernswerten Show-Neulinge, die sich zwar Mühe mit ihren Auftritten gaben, aber inzwischen nur noch als lästig empfunden wurden. Alles wartete auf Boy X.
So ging es auch Nadja und Robert, denn es war schon zehn Minuten vor 21 Uhr und der Star des Abends war nicht in Sicht. Hektisch schob der Regisseur noch einen Interpreten dazwischen, weil die Zeit zu knapp wurde.
Acht Minuten vor Beginn des eigentlichen Auftritts trafen die beiden Brüder ein. Nadja erschrak, als sie Boy X sah. Der junge Sänger war trotz der dicken Schminkschicht wachsbleich, Wangen und Augen waren eingefallen und grau, und er konnte sich kaum aufrecht halten. Die Assistentin wurde fast hysterisch, als sie ihn sah, und meldete dem Regisseur über ihr Handy, dass er persönlich kommen müsse.
Nadja eilte zu den beiden und half, Boy X zu stützen. »Charles, was ist los mit ihm?«, flüsterte sie.
Charles war fast genauso blass wie sein Bruder. »Wenn ich das wüsste! Es wird immer schlimmer …«
»So kann er nicht auftreten …«
»Bin gleich so weit«, murmelte Boy X.
Der Regisseur kam mit wehenden Haaren herbeigestürmt und warf einen kurzen Blick auf den jungen Sänger. »Na bestens, unser Star ist voll bis oben hin!«, tobte er. »War keiner von euch in der Lage, das zu verhindern? Was sollen wir jetzt machen? Ich kann keinen Junkie auf die Bühne schicken! Oder ist er besoffen?« Er schnüffelte an Boy X, dabei fiel sein Blick auf Robert. Wütend funkelte er ihn an. »Sie fotografieren das nicht, verstanden?«
»Sieht es so aus?«, gab Robert knapp zurück.
»Ich konfisziere Ihre …«
»Mein Bruder ist weder betrunken noch auf Drogen!«, fuhr Charles dazwischen. »In seinem ganzen Leben hat er noch nie Alkohol getrunken, und was Drogen betrifft, so ist Aspirin das Stärkste, was er je zu sich genommen hat!«
»Ach ja? Der Anblick sagt mir aber was ganz anderes.« Der Regisseur zog eine angewiderte Grimasse.
Charles’ Gesicht rötete sich, und er packte den Regisseur am Arm. »Behandeln Sie ihn gefälligst nicht so herablassend!«, zischte er. »Nicht jeder denkt so verdorben wie Sie. Mein Bruder ist der anständigste Kerl, den ich kenne, und seine Leber könnte Ihnen wahrscheinlich das Leben retten!«
»Hört auf zu streiten …«, bat Boy X schwach.
Nadja konnte den Sänger nicht mehr halten, er sackte zusammen. Wie eine alte Decke glitt er zu Boden, sein Blick war trüb, aber ein verklärtes Lächeln lag auf seinen Zügen. »Ban…«, seufzte er. Dann verlor er das Bewusstsein.
»Verfluchte Scheiße!«, stieß der Regisseur hervor. »Ein toter Jungstar auf meiner Bühne, das hat mir gerade noch gefehlt.« Er stürmte davon; wahrscheinlich wollte er noch irgendwie die Show retten.
Die Assistentin stand mit großen Augen mitten im Raum und rührte sich nicht.
»Verdammt, rufen Sie endlich den Notarzt!«, schrie Nadja sie an. »Wir sind hier nicht auf Sendung, das ist echt!«
Endlich reagierte die Frau und eilte mit ihrem Handy am Ohr zur Seite. Robert kniete sich neben Charles und Nadja. »Schlägt sein Herz noch?«, fragte er so ruhig wie möglich.
»Sehr langsam«, antwortete Nadja.
Charles versuchte, seinen Bruder durch sanftes Rütteln und mit Worten zu sich zu bringen. Er weinte fast. Verzweifelt sah er Nadja an. »Was hat er bloß?«
»Hat er früher schon so etwas gehabt?«, gab Nadja zurück.
Charles schüttelte den Kopf. »Er war noch nie in seinem Leben krank. Er ist der Sonnenschein unserer Familie, verstehen Sie? Nie ein böses Wort, immer für alle da, und sein Lachen war ansteckend. Es fing erst an, als er hierher nach Paris kam, für diese Show. Eliette hat es mir nicht gesagt, können Sie sich das vorstellen?«
»Wo ist sie?«
»Hab sie rausgeschmissen, die blöde Kuh. Ich wäre schon viel früher da gewesen, wenn ich das gewusst hätte! Aber ich musste
Weitere Kostenlose Bücher