Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
TV 5 Monde stattfinden, in einem eigens dafür eingerichteten Studio im Viertel La Défense, am linken Ufer der Seine gelegen.
»Immer der Axe historique entlang«, witzelte Robert, als sie abendlich gekleidet dorthin unterwegs waren.
»Ja, für Boy X wahrhaftig ein triumphaler Weg.«
Die bereits im siebzehnten Jahrhundert begonnene historische Sichtachse begann am Louvre, führte zuerst durch die Tuilerien, weiter durch den Triumphbogen und endete an der 1990 eingeweihten Grande Arche de la Fraternité. Nadja fand sie scheußlich und sah keineswegs eine moderne Interpretation des ursprünglichen Triumphbogens darin. La Défense hatte seinen Namen im Jahr 1871 erhalten, als man Paris gegen die Preußen verteidigte. Heute war die Gegend ein bedeutendes Geschäftsviertel. Ab und zu wurden die Medien angelockt, um sich den Anschein kulturellen Interesses zu geben und das Gelände attraktiver zu machen.
Das Studiogebäude allerdings war von außen wenig repräsentabel, nicht mehr als ein flacher, viereckiger Kasten mit einem kleinen Schild des Senders. Ein kühler Wind wehte und rüttelte die Blätter von den städtisch gestutzten Bäumen. Vor Kurzem hatte es geregnet, und der schwarze Asphalt glänzte wie Öl, das aus der Tiefe gepumpt wurde. Eines wurde an diesem Abend deutlich: Das Jahr wurde unaufhaltsam älter und die Schatten länger.
Es war schon fast dunkel, als Nadja und Robert kurz vor halb acht auf den Eingang des Studios zusteuerten. Die Zuschauer strömten bereits hinein, der Andrang war groß. Alle schienen sich von dem angekündigten Medienereignis etwas zu versprechen.
Mit ihren Backstage-Karten brauchten sich die beiden Journalisten nicht anzustellen, sondern wurden seitlich durch den ausgewiesenen Künstlereingang eingelassen. Eine Mitarbeiterin des Senders nahm sie in Empfang, überreichte ihnen eine Pressemappe und führte sie in eine Cafeteria. Dort bot sie ihnen Kaffee an und wies auf bereitgestellte Platten mit belegten Baguette-Scheibchen und Croissants.
»Bitte, greifen Sie zu! Es ist genug davon da.«
Nadja und Robert bedankten sich höflich. Um sie und auf den Gängen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, alles bereitete sich auf die mit Spannung erwartete Show vor. Über der Theke hing ein riesiger Plasmafernseher, der die letzten Tonproben und Anweisungen ans Publikum übertrug. Aus leise gestellten Lautsprechern drangen murmelnde Stimmen, Musikgedudel und kurzes Gelächter.
Der Moderator, ein hipper Anfangsdreißiger mit glatten blonden Haaren und langer Föhnsträhne, die er regelmäßig mit schwungvoller Kopfbewegung nach hinten warf, lief federnd auf der Bühne auf und ab. Ab und zu warf er etwas ins Publikum, das daraufhin lachte. Der Presse-Information nach hieß er Jean de-Blanc; wahrscheinlich ein Künstlername. Seine Karriere hatte dieses Jahr steilen Aufschwung genommen, und er war sehr beliebt.
An einigen Tischen saßen nervöse Jungstars, denen gewissermaßen das Wort »Gecastet« auf die Stirn geschrieben stand. Junge Frauen wie Männer waren gleichermaßen perfekt gestylt. Trotzdem wirkte es so, als trügen sie Kostüme, in die sie noch nicht hineinpassten. Die Bewegungen waren zu linkisch, und man merkte, dass sie sich in dem Outfit nicht ganz wohlfühlten. Als wären sie nicht mehr sie selbst, sondern ein Rollencharakter. Sie übten leise ihren Gesang und versuchten sich gegenseitig durch lautes Gelächter und markige Sprüche Mut zu machen. Ab und zu blickte einer neugierig zu den Reportern, gab sich bei zufälligem Blickkontakt jedoch völlig desinteressiert.
»Sind Sie schon einmal hier gewesen?«, erkundigte sich die schwarzhaarige junge Frau, auf deren Namensschild »Madeleine« eingraviert war. Sie sah wohltuend normal aus, trug einfache Jeans und T-Shirt, die schulterlangen Haare glatt und kaum Make-up. Ihr Lächeln war offen und ihre gepflegten Zähne nicht perfekt.
»Nein, das erste Mal«, antwortete Nadja. »Boy X wollte hier unser Interview zu Ende bringen. Wie sieht es aus, können wir schon mit ihm sprechen?«
Madeleine blickte auf die Uhr. »Schlecht. Wir brauchen noch ein paar Tonproben mit ihm, Verkabelung, Maske … Um neun Uhr ist er dran, da dürfen wir nicht bummeln. Es hat mich ohnehin gewundert, dass sie jetzt schon die Presse hereinlassen. Sie beide sind die Ausnahme.«
»Wir können mit ihm reden, wenn er in der Maske ist«, schlug Nadja vor. »Ich hätte ihn gern vorher gesprochen, wegen seines Lampenfiebers, Sie verstehen? Ich
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