Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
erinnerte sich an die totale Sonnenfinsternis im August 1999. Als für wenige Minuten aus dem Tag etwas … anderes wurde. Nicht richtig Nacht, trotzdem wurde es dunkel, und die Farben wurden fahlbleich. Alle Vögel verstummten, nichts regte sich mehr. Als ob die Welt stehen geblieben wäre. Es war ein unglaubliches Erlebnis gewesen, das sie tief berührt hatte. Sie konnte verstehen, dass dies Auswirkungen auf die Anderswelt haben musste; schließlich lebten die Elfen unter derselben Sonne. Und anscheinend hielt die Finsternis dort länger an – sie hatte das Reich in den Herbst verwandelt.
Damit lag sie nicht ganz richtig, wie sie gleich erfuhr. Grog erzählte weiter und kam zur Mission der Zwillinge, nach dem Quell der Unsterblichkeit zu suchen. Grog berichtete von ihren ersten Schritten in der Menschenwelt und wie sie sich zurechtfanden – dank Talamand, dem findigen Elfen. Er besorgte Rian Arbeit als Model, und ab und zu arbeitete sogar David, direkt bei ihm im Club, wenn er sich dort nicht lieber amüsierte.
»Aber wir kommen gut zurecht«, schloss Grog.
»Dann hat Talamand euch nicht übers Ohr gehauen?« Das konnte Nadja kaum glauben. »Das gibt es heute noch?«
Grog lächelte aus dem mit Zahnlücken behafteten Mund. »Er hat es versucht. Aber das hat sich schnell geändert. Er ist ein sehr einsamer Mann, Nadja, schon so lange fern der Heimat. Er ist glücklich, wenn er ab und zu auf Artgenossen trifft, und wir betrachten ihn inzwischen als einen guten Freund.«
»Warum geht er nicht zurück?«
»Er kann nicht. Er hat sich den Menschen schon zu sehr angeglichen, deshalb konnten wir ihn nicht als unseresgleichen erkennen. Er ist schon lange sterblich. Seine Lebenszeit dauert noch an, wahrscheinlich wegen der Kraftfeldlinien, auf denen er sich zumeist aufhält.«
David kehrte aus dem Bad zurück. Immerhin hatte er sich eine Jeans übergezogen, dazu ein frisches Shirt, aber seine Haare waren immer noch wirr und ungeordnet und sein Blick nicht freundlicher. »Die ist ja immer noch da«, brummte er stirnrunzelnd und ließ sich ächzend aufs Sofa fallen, wo er sich mit gespreizten Beinen hinfläzte. Er griff in eine Chipstüte und angelte nach den Resten, die sich darin verbargen.
»›Die‹ heißt Nadja, und wir können Verbündete brauchen«, sagte Rian scharf. »Du bist unmöglich, David!«
Er zuckte die Achseln und warf sich ein paar Chips ein. »Du weißt, was unser Vater uns aufgetragen hat: Wir dürfen uns nicht von den Menschen kontaminieren lassen. Deswegen hat er uns ja auch diese beiden Deppen mitgeschickt.« Er wies auf Pirx und Grog.
Nadja wunderte sich, dass die kleinwüchsigen Elfen nicht aufbegehrten. Anscheinend wagten sie es nicht, weil David ein Prinz war. Allerdings musste sie David recht geben: Was der Herrscher der Anderswelt sich dabei gedacht hatte, seinen Kindern ausgerechnet den verspielten Pirx und den sanften Grog als Aufpasser mitzugeben, war ihr schleierhaft.
»Unser Vater hat auch gesagt, dass unsere Reise nicht lange dauern wird!«, gab Rian ungehalten zurück. »Er hat es sich einfach vorgestellt, aber wir sind keinen Schritt weiter. Während unser eigenes Land verfällt, brauchen wir Hilfe!«
»Das ist übrigens etwas, das ich nicht verstanden habe«, sprach Nadja dazwischen. »Was bedeutet das, dass ihr einfach
vergeht?
Heißt das, eure Schatten werden sich nicht in Annuyn manifestieren?«
Rian wich ihrem Blick aus, Pirx und Grog schauten zu Boden. Und in Davids Augen lag plötzlich unendlicher Schmerz. Für einen Augenblick sah er verletzlich aus. So musste er in jenem Moment ausgesehen haben, als er erwacht war und den Herbst entdeckt hatte. Grogs Worten zufolge erlebte er das Sterben des Baums als körperliches Leid.
Der Elf setzte sich auf, und plötzlich strahlte er etwas ganz anderes aus als Frustration und Ablehnung. Er wirkte auf einmal größer und … ja, königlicher.
»Sie haben es dir nicht gesagt?«, fragte er mit klangvoller Stimme, die so rein war wie die Rians, nur um eine Oktave tiefer. Ein schöner Tenor. »Ja«, beantwortete er seine Frage gleich selbst. »Das sieht ihnen ähnlich.«
Nadja schaute ihn an. Sie war sich nur halbwegs bewusst, wie intensiv sie starrte. Er zeigte sich ganz und gar als Elf, das Weiß aus den veilchenblauen Augen war verschwunden. Seine Haut war blasser als die Rians und besaß einen ganz eigenen Glanz. Er hatte sogar das Haar hinter die schön geschwungenen, nach oben spitz zulaufenden Ohren gesteckt.
»Nun, das
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