Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
Schulter, aber niemand außer Nadja bemerkte ihn.
Nadja wunderte sich, dass Rian keine Fahrkarte löste, aber trotzdem die Sperre ungehindert passieren konnte. Als sie Rian darauf ansprach, lachte diese.
»Menschliche Schlösser können uns nicht aufhalten«, erklärte sie. »Und Kontrolleure ebenso wenig.« Sie zwinkerte. »Einer hat das mal versucht, gleich an unserem ersten Tag. David hat ihn beinahe mit seinem Messer erstochen, weil er sich mir gegenüber ungebührlich benommen hatte. Dadurch haben wir ein wenig Aufsehen erregt, aber zum Glück ohne Nachspiel. Seitdem geben wir ihnen, was sie wollen.« Sie zeigte Nadja ein trockenes braunes Blatt.
»Das ist ein Blatt«, sagte Nadja. »Na und?«
»Nicht, wenn er eine Fahrkarte sehen will.« Die Elfe grinste vergnügt.
»Aber warum bezahlst du nicht einfach? Du verdienst doch Geld als Model.«
»Daran habe ich bisher nie gedacht«, gab Rian zu. »Das Nougat bezahle ich natürlich mit eurem Geld.«
Nadja schüttelte den Kopf. Die Elfe entpuppte sich als immer wunderlicher.
Die Wohnung lag im fünften Stock, und wie nicht anders zu erwarten, gab es keinen Aufzug. Ab dem dritten Stockwerk fing Nadja an zu schimpfen. Rian schien die Anstrengung überhaupt nichts auszumachen, sie schwebte leichtfüßig nach oben, ohne ein Geräusch zu verursachen.
Unter Nadjas Schuhen knarzten die alten Holzstiegen. In dem Stiegenhaus roch es nach Alter, Bohnerwachs, Küchendünsten und Staub. Die Sonne tastete sich vorsichtig durch die halb blinden Fenster, um die auf Bänken und Ständern stehenden Grünpflanzen mit Licht zu versorgen. Durch die hohen Holztüren einiger Wohnungen drangen Stimmen.
Nadja war völlig geschafft, als sie endlich in der letzten Wohnung ankamen, die direkt unter dem Dach lag, wo es nur eine Tür gab. Rian öffnete die Tür, ohne einen Schlüssel zu benutzen, obwohl außen ein Knauf angebracht war. Es schien zu stimmen, was sie über die menschlichen Schlösser gesagt hatte.
»Komm herein!«, forderte die Elfe auf.
Nadja kam der Einladung umgehend nach. Sie betrat ein Reich des Chaos. Die Wohnung war eine einzige Zimmerflucht, mit hohen Decken, alten Holzböden und Holztüren mit verzierten Schnitzrahmen. Sämtliche Wände waren vollgepflastert mit Originalgemälden, Fotografien, Kunstdrucken, Tüchern, getrockneten Blumen und Haken. Im ganzen Flur verstreuten sich Schuhe und Kleidungsstücke, auf allen Stühlen, Polstern und Sitzkissen lagen irgendwelche Sachen. Die Wohnung wirkte alt und gemütlich, und Nadja fühlte sich trotz des Durcheinanders auf der Stelle wohl.
Sie prallte erschrocken zurück, als jemand aus der Küche kam – ein etwa sechzig Zentimeter kleines Hutzelmännchen, dicklich und über und über mit dichten, langen braunen Haaren bedeckt, vom Scheitel bis zu den riesigen Füßen. Eine ehemals blütenweiße Halbschürze war die einzige Bekleidung, die der Zwerg trug; aber bei dem dichten Haarwuchs am ganzen Körper brauchte er auch keine. In der einen Hand hielt er eine Spülbürste, in der anderen einen halb gereinigten Teller. Gutmütige helle Augen funkelten aus seinem knorrigen Eichengesicht, das von einer bizarren Kartoffelnase beherrscht wurde.
Der Gnom erschrak ebenfalls und ließ beinahe den Teller fallen. Mit geweiteten Augen starrte er zu Nadja hoch.
Pirx sprang auf den Boden; er war gerade halb so hoch wie das alte Hutzelmännlein. »Das ist Nadja!«, stellte er sie vor und hob die rote Mütze an. »Sie ist heute unser Gast.« Er deutete auf den Gnomen. »Und das ist der Grogoch, genannt Grog.«
»Sehr erfreut«, sagte Nadja.
»Gl… gleichfalls«, krächzte Grog. Dann aber packte er Pirx mit der Hand, die die Spülbürste hielt, und zerrte ihn mit sich. »Ich muss dich sprechen.« Die beiden verschwanden in der Küche, und gleich darauf hörte Nadja unterdrücktes Gemurmel und empörte Laute. Sie konnte sich denken, worum es ging – um sie.
»Komm!« Rian ging voran, und Nadja kam sich auf einmal schäbig, plump und tollpatschig vor, während sie ihr folgte. Die Elfe bewegte sich mit einer unvergleichlichen Anmut, als würde sie tanzen.
In den Sonnenstrahlen im Wohnzimmer spielten hauchfeine Staubfünkchen ein elegantes Ballett. Der Boden war mit bunten, alten Teppichen ausgelegt, die Wände waren vollgestopft mit alten Eichenregalen, in denen sich unzählige Bücher, Karten, Folianten, Bilder kunterbunt stapelten, dazu kamen jede Menge Nippeskram, alter Schmuck und weitere Tücher. Die alten Polster waren
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