Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Pausen dazwischen.
Nadja genoss diese Zeit der Besinnung, ohne Verpflichtung und Gedanken an Morgen. Sie fing sogar an, mit Grog zusammen zu kochen. Pirx saß manchmal mit dem Kater draußen auf der Treppe und beobachtete die Leute. Fabio war viel unterwegs; er sagte selten, was er unternahm, und Nadja fragte nicht danach. Ab und zu schaltete sie den Laptop ein und schrieb. Was, wusste sie nicht genau. Eine Mischung aus Tagebuch, Roman und Artikel, ihre Weise, die Dinge zu verarbeiten. Über den bevorstehenden Abschied sprachen sie alle wenig.
Eines Nachmittags war David soweit, zum ersten Mal wieder nach draußen zu gehen, und er bat Nadja, ihn zu begleiten. Nadja war ein wenig verlegen wegen Rian, doch diese winkte ab. »Wir müssen nicht aneinander kleben«, schmunzelte sie. »Außerdem hat Grog eine wunderbare Mousse au Chocolat zubereitet, da kann ich nicht weg, und im Fernsehen kommt gleich
Stürmische Liebe
.«
Die weihnachtlichen Dekorationen wurden bereits aufgestellt. In zwei Wochen war der erste Advent. Das Wetter wechselte sich mit klaren Frosttagen und Nebel ab. In der letzten Nacht hatte es geschneit, und die Hausdächer und Bäume waren immer noch überzuckert. Keine Spur von tristezza oder Morbidität war zu erkennen, Venedigs Gassen schlummerten still vor sich hin und träumten vom nächsten Frühjahr.
Nadja genoss es, still neben David zu gehen. Sie waren beide dick eingepackt in Pullover, Schal, Mütze und Handschuhe. Niemand hätte vermutet, dass hier ein Elf und eine Halbelfe spazieren gingen, die eine Welt hinter der menschlichen Normalität kannten.
David hatte sich durch die Gefangenschaft und das langsame Sterben verändert. Er war still und nachdenklich und meistens ernst. Nadja ging aber davon aus, dass das nicht lange vorhalten würde. Sicher würde er nicht mehr so ein Ätzer sein wie früher, aber seine elfentypische Arroganz und Herablassung den Menschen gegenüber würde wahrscheinlich wieder zurückkehren, wenn er vollends erholt war. Und dennoch – momentan konnte Nadja kaum glauben, dass sie sich früher die ganze Zeit nur gestritten hatten.
Sie waren etwa eine halbe Stunde unterwegs, gingen kreuz und quer durch die abgelegenen, kleinen Gassen, bis David auf einer zierlichen Brücke anhielt und auf den schmalen Kanal hinunterschaute. Der Anblick der bunten Häuser, die vereinzelt von der Nachmittagssonne angeleuchtet wurden, war malerisch.
Im Kanal dümpelten kleine Boote. An ihm entlang ging ein Mädchen mit seinem Hund Gassi; wie alle venezianischen Hunde war er mittelgroß, von unbestimmbarer Rasse und sehr gut erzogen. Er brauchte keine Leine, tollte fröhlich um sein Frauchen herum und begrüßte schwanzwedelnd einen Hundenachbarn, der soeben mit seinem Herrchen um die Ecke bog. Gleich darauf sausten die beiden Vierbeiner fröhlich kläffend über einen Platz und die jungen Leute hielten ein Schwätzchen.
»Manchmal sind die Menschen bewundernswert«, sagte David verträumt. »Sie können das Leben so intensiv genießen und sich an kleinen Dingen erfreuen. Sie können freundlich sein, geduldig und hilfsbereit. Wenn ich das hier so beobachte, kann ich kaum glauben, wie aggressiv und grausam sie mitunter sind.«
»Genau wie die Elfen«, meinte Nadja.
»Nicht ganz«, widersprach er. »Elfen sind eher oberflächlich, stolz und überheblich. Wir sind ein kriegerisches Volk, sind es immer gewesen, und wir streben nicht unbedingt nach Frieden. Unsere Lebenseinstellung ist anders, weil wir unsterblich sind.« Er wischte mit dem Handschuh den Schnee vom Geländer und lehnte sich darauf. »Nun werden wir uns umstellen und von euch lernen müssen.«
»Wir werden den Quell finden«, sagte sie eindringlich.
»Nadja, machen wir uns nichts vor. Wir wissen nicht, ob es den Quell überhaupt gibt, und ob wir ihn finden können. Wir müssen uns auf die Veränderung vorbereiten und uns anpassen. Wenn wir den Quell trotzdem finden, umso besser. Dann haben wir nichts verloren. Aber wenn nicht …«
»Es tut mir leid, David.«
»Das braucht es nicht.« Er blickte zu ihr, hob den Arm und strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Hast du Angst vor dem Abschied?«
Sie schluckte. »Ja. Sicher. Ich vermisse euch jetzt schon.«
»Ich auch.« Er richtete den Blick wieder aufs Wasser. »Noch mehr Angst aber habe ich vor Fanmór.«
»Er ist dein Vater. Er wird glücklich sein, dass ihr beide am Leben seid.«
»Du kennst ihn nicht.«
»Es braucht dich auch gar nicht zu kümmern, was er
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