Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
doch nach Norden ging. Ein Stückchen hinter Cimitero lag die Glasbläserinsel Murano und ebenfalls in der Nähe das reizende winzige Burano, wo die Meisterinnen des Spitzenklöppelns ihr Handwerk ausübten.
Das Boot bog nun tatsächlich in westliche Richtung ab. Je weiter es aufs Meer hinauskam, desto unruhiger wurde das Wasser. Es schwankte ordentlich, aber die Venezianer hatten damit kein Problem. Auch Nadja machte es nichts aus, sie war viel zu beschäftigt mit Schauen. Plötzlich glaubte sie einen winzigen Leuchtpunkt vor sich zu erkennen, der rasch größer wurde.
Tatsächlich, da war eine Insel, für eine Boje war der Punkt schon viel zu groß. Außerdem wurden jetzt immer mehr Lichtquellen sichtbar, die unterhalb des Nebels glitzernde Reflexe aufs Wasser warfen. Mehr Einzelheiten waren nicht zu erkennen, dafür war es viel zu dunkel.
Das Boot steuerte einen Pier an, an dem weitere Boote in verschiedenen Größen vertäut waren. Als es anlegte, kam Unruhe in die Gäste. Die ersten drängelten schon nach vorn. Nadja musste schmunzeln – der typische Herdentrieb. Als ob es etwas zu versäumen gäbe. Natürlich wäre sie auch am liebsten ganz nach vorn gestürmt, weil sie es kaum erwarten konnte. Sie wusste nicht, wie so ein Maskenball in Venedig abgehalten wurde; überhaupt war sie noch nie auf einer vergleichbaren Veranstaltung gewesen. Sie vermisste Robert schmerzlich, ihn, seine Kamera und seine trockenen Anmerkungen zu solchen Festivitäten. Dieses Mal konnte sie ihre Eindrücke mit niemandem teilen, und das fiel ihr nicht leicht.
Endlich wurde die Tür geöffnet, und wie ein gut durchgeschüttelter Sekt strömten die Gäste aus dem engen Flaschenhals und flossen in einer einzigen Bewegung nach draußen. Individuen waren keine mehr erkennbar.
Nadja und noch drei andere Gäste standen als Letzte auf und kamen langsam hinterher.
Zwischenspiel
Die Zeit läuft ab
Dafydd lag still auf dem Rücken. Er spürte, wie er dahinschwand. Zusehends hatte er das Gefühl, als würde er langsam in den Boden einsinken, einsickern, sich darin auflösen und fort sein, für immer.
Bis zuletzt hatte er noch gehofft, rechtzeitig befreit zu werden. Oder dass sein unbekannter Peiniger ein Einsehen hatte, die Folter beendete und ihn herausholte, damit er Erholung fand. Selbst, wenn er danach wieder eingekerkert geworden wäre, hätte Dafydd diese kurze Zeit so intensiv wie möglich genossen, das Licht noch einmal gesehen. Und dann Abschied genommen.
Aber so blieb ihm nichts. Er würde einfach vergehen, unbemerkt von allen. Ganz allein, ohne Licht, nur von den ewigen Ketten umgeben.
Wie Schlachtvieh.
Ein paar Mal schon hatte Dafydd geglaubt, der Zeitpunkt des Todes wäre gekommen. Aber dann war plötzlich wieder Kraft in ihn geströmt, er wusste nicht woher. Ganz sicher war es keine gute Tat seines Peinigers, sondern kam von außerhalb. Dafydd hatte das Gefühl, als wären es zwei Strömungen, die ihm abwechselnd ein wenig Energie zurückgaben.
Doch im Grunde verzögerten sie es nur. Eine Verlängerung der Folter, und Dafydd wollte nicht mehr. Er war am Ende seines Seins angelangt; es gab fast nichts, das noch in ihm war. Er wollte nur noch, dass es aufhörte. Hinüberdämmern, irgendwohin. Hauptsache, es wäre vorbei.
In solchen Momenten stand ihm wieder Nadjas Gesicht vor Augen. Obwohl er inzwischen nicht mehr so sicher war, dass er auch wirklich
ihr
Antlitz sah, und nicht irgendeine zusammengesetzte Erinnerung. Auch Nadja verblasste und schwand dahin.
Dafydd hatte sein Gedächtnis wiedergefunden, aber trotzdem sein Leben verloren. Er starb nicht unwissend, doch unzufrieden. Dies war kein ehrbarer Tod für einen Prinzen und Krieger wie ihn. In der Schlacht wollte er sterben und nirgends sonst, wenn es denn schon sein musste. Ging er so, in tiefster Demütigung und Ohnmacht, würde der Graue Herr Samhain sich nicht einmal dazu herablassen, ihm auch nur eine der drei Fragen zu stellen. Als blasser, kränklicher Schatten würde Dafydd auf ewig dahinsiechen. Zwar nicht mehr in Ketten, und außerhalb aller lichtlosen Räume, doch ein Zustand wäre das kaum mehr zu nennen. Der Prinz der Sidhe Crain wäre noch weniger als ein Schatten.
Es war der Gedanke daran, der Dafydd immer noch im Diesseits festhielt, denn er bereitete ihm Furcht. Lieber wäre er ganz verschwunden, als in einer solchen Scheinexistenz zu enden.
Aber wenn ich verschwinde … würde Nadja sich noch an mich erinnern? Würde irgendjemand, einschließlich
Weitere Kostenlose Bücher