Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
lehnte. Mahnend hob er den Zeigefinger. »Eine einzige Warnung: Haltet euch von der Menschenwelt und den Lebenden fern, ansonsten werdet ihr lernen, dass auch Geister leiden können! Und das ist schlimmer als Vernichtung, seid dessen gewiss. Ich kann euch überall erreichen, kein Weg ist mir verwehrt.«
»Es ist nicht recht, was Ihr da tut«, sagte Casanova stolz.
»Das ist nicht von Bedeutung.« Der Getreue drohte noch einmal mit dem Finger, dann verschwand er.
Casanova straffte seine Haltung, er war überaus wütend und beschämt. »Er geht zu weit, so viel steht fest«, knurrte er.
Byron machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es wird noch schlimmer, als wir glaubten«, sagte er düster. »Die Linien der Welten verschwimmen.«
»Glauben Sie, er kann seine Drohung wahrmachen?«
»Ich denke, er kann alles, was er will. Doch wird’s mich nicht hindern.«
»Mich ebenfalls nicht, alter Freund. Das wird er noch lernen.«
»Ich glaube nicht an Bestimmung«, sagte Nadja wütend zu sich. »Die Zwillinge haben ein Anrecht darauf, selbst über sich zu entscheiden!«
Als sie auf die Uhr sah, erschrak sie. Im Laufschritt legte sie den restlichen Weg zum Anleger zurück, aber es gab gar keinen Grund zur Eile.
Eine Menge Leute drängelten sich vor der Planke zu einem schicken, großen Boot mit vielen Fenstern, als ob es zum Sightseeing ginge. Die Mannschaft, ganz klassisch in blaue Matrosenanzüge mit weißen Mützen gekleidet, versuchte Ordnung und Disziplin in die Menge zu bringen, aber das war gar nicht so einfach. Alle waren maskiert, die Kostüme benötigten oft Platz für zwei, und jeder wollte als Erster an Bord. Nadja setzte die kleine schwarze Augenmaske auf und gesellte sich langsam dazu. Niemand beachtete sie, alle schauten nur nach vorn.
Dort gab es hitzige Diskussionen, weil nicht nur die Einladungen, sondern auch die Ausweise kontrolliert wurden. Entweder, jemand hielt sich für bekannt genug und weigerte sich, beides herzuzeigen, oder man hatte das eine oder andere Dokument vergessen – das alles hielt lange auf. Nadja verstand jetzt, warum Luigi gemeint hatte, dass das Boot auf sie warten würde. Er kannte den Ablauf schon von früheren Jahren.
Nach fünf Minuten verlor Nadja die Geduld und begann auf ihre persönliche, bewährte Weise durch die Menge zu schlüpfen. Manch einer fluchte ihr nach, aber trotzdem erreichte sie unangefochten den vordersten Platz. Und diesmal war sie auch gut vorbereitet, hielt Einladung und Presseausweis in der Hand. In der Dunkelheit und mit der Maske konnte man Carla und sie sowieso nicht voneinander unterscheiden.
Der Matrose gab ihr strahlendes Lächeln zurück und hielt ihr galant die Hand hin, um ihr an Bord zu helfen. Hinter ihr ging der nächste Streit los.
Manchmal
, dachte Nadja bei sich,
sind die Italiener auch zu umständlich
.
Und manchmal war es auch von Vorteil, eine Halbelfe zu sein.
Sie ging nach unten, nickte den bereits anwesenden Gästen zu und suchte sich möglichst weit hinten einen Fensterplatz. Schade, dass nicht mehr Sommer war, dann hätte man bestimmt schön draußen sitzen können. Aber gut, es war auch so aufregend genug.
Endlich waren alle an Bord versammelt, das Fallreep wurde eingezogen und die Leinen losgemacht. Nadja hatte erwartet, dass irgendjemand kommen und die Gäste begrüßen würde, doch Fehlanzeige. Der Raum war vollgestopft bis auf den letzten Platz, in den Gängen drängelten sich diejenigen, die keinen Sitz mehr ergattern konnten.
Als das Boot startete, wurde das Licht auf ein Minimum heruntergedimmt, und jetzt hatte Nadja freie Sicht nach draußen.
Der Nebel schwebte in einigen Metern Höhe über dem pechschwarzen, bewegten Wasser. Das Boot fuhr genau unter ihm durch, hier war die Sicht gestochen scharf. Zunächst bot sich Venedig in voller Breitseite dar, verschwommen zwischen Licht und Nebel. Die Ostspitze wurde umrundet, und kurzzeitig konnte Nadja die Lichter des Lido in kurzer Entfernung erkennen. Dann hatten sie den Canale delle Fondamenta erreicht, und jetzt ging es schnurstracks in Richtung der Isola di San Michele mit ihrem großen Friedhof. Passend zu diesem Ort, erhellten Gasfackeln in runden Käfigbehältern die Zufahrt. Tagsüber hörte man wahrscheinlich die klagenden Schreie der Möwen, doch jetzt war hier alles still. Kein weiteres Boot war mehr unterwegs.
Nadja war gespannt, wo es als Nächstes hinging, denn Tramonto war auf keiner Karte verzeichnet. Tramonto del Sole, der Sonnenuntergang, obwohl es
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