Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
sich kein gemeinsames Gesprächsthema fand. Außerdem hatte die Contessa das Gefühl, dass diese faulen Müßiggänger, die in Abhängigkeit vom Conte lebten und selbst keinen Handschlag für ihren Unterhalt taten, einen Hang zur Perversion hatten. Was sie aber vollends abstieß, war der ungezügelte Trieb nach Sex, zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort. Jeder mit jedem, auch im Rudel. Die Contessa war modern und aufgeschlossen, aber das war ihr zu viel.
Sie weigerte sich, sich daran zu beteiligen. Der Conte hatte Verständnis, denn schließlich war sie bereits in anderen Umständen, ein großer Grund zur Freude. Bald würde sie Erfüllung als Mutter finden, mit einem ganzen Kinderstall. Ein Ziel, das sich die Contessa nicht selbst erkoren hatte. Sie vermisste das Studium, das fröhliche Leben, Kultur und Bildung. Auf Tramonto gab es nur altes, verstaubtes Zeug, das sich auf die Familie und Venedig bezog.
Im November wurde der jährliche Maskenball gegeben, und die Contessa freute sich aufs Wiedersehen mit ihrer Familie und einigen Freunden. Ein rauschendes Fest, und der große Glanz war die werdende Mutter, die bereits einen Sechsmonatsbauch vor sich herschob und ihn entsprechend stolz zeigte.
Als die Contessa am Morgen nach dem Fest erwachte, war bereits alles wieder beim Alten, bis auf einige neue Bedienstete und Gäste, die wohl die Heimfahrt nicht geschafft hatten. Diese wirkten allerdings keineswegs erbaut, als sie erfuhren, dass sie die Insel nicht mehr verlassen durften. Es drohte ein Aufstand, doch der Conte gab ihnen allen etwas zu trinken, und danach waren sie fügsam.
Die Contessa machte ihrem Mann Vorhaltungen. Wegen der Freiheitsberaubung und des seltsamen Lebensstils seiner dekadenten Freunde. Da schlug er sie das zweite Mal. Und nicht nur das. Er teilte ihr mit, dass ihre Eingewöhnungszeit vorüber sei und nun der erzieherische Teil begänne.
Natürlich setzte sich die Contessa zur Wehr. Aber sie hatte keine Chance. Und sie konnte nicht entkommen. Sie war eine Gefangene, der Willkür ihres Gatten ausgeliefert.
Sie hoffte, er würde sich ändern, wenn das Kind erst auf der Welt war. Solch ein Ereignis hatte schließlich schon oft aus kaltherzigen Männern liebevolle Väter gemacht. In aller Ruhe bereitete sie sich auf die Hausgeburt vor; eine uralte Frau sollte ihr als Hebamme beistehen. Doch es ging alles gut, und die Contessa hielt glücklich ein entzückendes kleines Mädchen im Arm.
Der Conte betrachtete das Kind, packte es, brach ihm das Genick und vergrub es im Labyrinth. »Ich erwarte einen Sohn«, sagte er.
Da wurde die Contessa zum ersten Mal schwer krank und siechte dahin. Der Conte, der in einem Labor viel mit Destillaten experimentierte, stellte ein Mittel für sie zusammen, das sie wieder glücklich machte. Zwei Monate später war sie erneut schwanger.
Nadja schloss für einen Moment die Augen. »Lassen Sie mich raten … es war wieder ein Mädchen.«
Die Contessa nickte mit seligem Lächeln und deutete aus dem Fenster. »Die beiden spielen jeden Tag im Labyrinth, ich kann ihr Lachen hören. Sie vermissen nichts.«
»Was passierte dann?«
»Er versuchte, ein weiteres Kind zu zeugen, doch es gelang nicht mehr. Einer seiner Handlanger erklärte, sein Blut wäre inzwischen zu verbraucht und der Samen zu alt. Also fing er an, mit Blut zu experimentieren …« Ein Schatten fiel über das zarte Gesicht der Contessa. »Niemand kann sich vorstellen, was er anderen antut.«
Nadja wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war hin- und hergerissen zwischen Grauen, Entsetzen, tiefem Mitleid und ohnmächtigem Hass gegen den Conte. »Contessa, wie alt ist er? Wissen Sie das?«
»Sehr, sehr alt …«, antwortete die Frau. »Manchmal, wenn er lange keine Tränke mehr zu sich nahm, fing seine Haut an zu welken und ein furchtbarer Gestank ging von ihm aus. Dann benutzte er die arme Contessa …«
»Gehen Sie nicht tiefer, Contessa, diese bösen Schatten sind Vergangenheit. Er wird Sie nie wieder benutzen.«
»Aber er liebt mich doch«, lächelte die Contessa, die sich wieder in sich selbst zurückgezogen hatte. »Sie sollten ihn erleben, wenn er mit unseren Töchtern spielt. Sicher werden wir noch mehr Kinder haben, und ich werde ihm den ersehnten Sohn schenken. Er ist der beste Mann, den es gibt, und der edelste …«
Nadja schluckte schwer. »Gewiss, Contessa. Es tut mir leid, dass ich Sie so aufgeregt habe.« Behutsam legte sie eine Hand auf den Arm der schwermütigen Frau, und es traf sie
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