Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
der ich ja auch bin …«
»Gib dir nicht die Schuld, Papa!«
»Er nahm mich an, weil seine Diener ohnehin langsam wegstarben«, fuhr er unbeirrt fort. »Ich weiß nicht, warum er mir meinen Willen ließ. Vermutlich ergötzte er sich daran, mich zu demütigen und herauszufinden, wie viel ich ertragen konnte. Und ich nahm alles hin. Dadurch war ich wenigstens in Lydias Nähe, aber ich konnte ihr nicht helfen. Und dann, nach dem zweiten Kind, zerbrach sie …«
Der Mann schluchzte laut. »Jeden Tag verfluchte ich meine Feigheit! Aber ich hatte Angst um meine Tochter. Sie ahnen ja nicht, wozu der Conte fähig ist.«
»Ich kann es mir durchaus vorstellen«, sagte Nadja.
Lydia streichelte die nasse Wange ihres Vaters. »Aber jetzt geht es mir gut. Colombina …«
»Nadja«, unterbrach sie.
»Nadja hat mich irgendwie aus dem Traum geholt. Ich werde mich nicht mehr verirren.«
Der Majordomus starrte Nadja an. »Wie haben Sie das …«
»Das spielt doch keine Rolle, Signore.« Nadja sprach langsam. »Reden wir offen miteinander. Ich bin hier, um nach einem Freund zu suchen, der irgendwo gefangen gehalten wird. Wo könnte ich ihn finden?«
Der Majordomus schüttelte den Kopf und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Diese Dinge behält der Conte ganz für sich. «
»Reden Sie keinen Unsinn. Wenn die Polizei zur jährlichen Razzia kommt, müssen die Gefangenen versteckt werden. Es muss Räumlichkeiten geben, zu denen Ihnen der Zutritt verwehrt ist. Irgendetwas müssen Sie in all den Jahren mitbekommen haben! Helfen Sie mir! Dann werde ich Ihnen helfen.«
»Das können Sie nicht. Niemand kann das.«
Nadja hatte genug. Sie trat dicht auf den Majordomus zu und packte ihn vorn am Rüschenkragen. »Hören Sie mit dem Selbstmitleid auf, Mann! So leicht geben Menschen nicht auf. Ich werde dafür sorgen, dass das Treiben des Conte ein Ende nimmt, darauf können Sie wetten! Aber zuerst muss ich meinen Freund befreien, denn er ist schwer krank, wahrscheinlich liegt er schon im Sterben. Wo muss ich hingehen, um ihn zu finden? Er ist ein ganz spezieller Gefangener, der nie ans Tageslicht geholt und fern von allen anderen festgehalten wird.«
»Nach unten«, flüsterte der Majordomus. »Ganz tief, noch unter die Weinkeller. Dort gibt es Mauern, die sind über zweihundert Jahre alt. Keiner von uns betritt sie freiwillig, doch manche werden hinabgeschickt und tauchen nie wieder auf.«
»Welcher Zugang ist der sicherste?« Nadja ging zum Sekretär, nahm Blatt und Stift und fing eifrig an zu kritzeln.
»Vom Lesezimmer auf der Galerie führt eine Wendeltreppe direkt in den Keller. Nur der Conte benutzt sie.«
»Gut. Ich habe die Treppe schon gesehen und mich gefragt, wo sie hinführt.« Nadja schrieb und schrieb, die Finger verkrampften sich fast. Das war sie gar nicht mehr gewöhnt.
»Was haben Sie vor?«, fragte der Majordomus verzagt.
»Euch alle rausholen«, knurrte sie. »Der Name Tramonto soll Wirklichkeit werden, ohne romantische Sonne dabei. Heute noch wird der Conte mitsamt seiner sauberen Sippschaft untergehen.«
»Das wäre ein Wunder«, hauchte Lydia und presste die Handflächen aneinander. »Sie müssen ein Engel sein.«
»Sowas Ähnliches«, meinte Nadja bitter und ironisch lächelnd, »nur ohne Flügel.« Sie faltete das Papier zusammen und hielt es dem Majordomus hin. »Ich habe nur eine einzige Bitte an Sie, die Sie nicht in Gefahr bringt, aber die Tür nach draußen öffnet.«
»Was soll ich tun?«
»Einer der Journalisten ist Deutscher, Tom Bernhardt. Er geht als Scaramuccia verkleidet, mit dunkler Robe und sehr langer Nase, und er hat einen grässlichen Akzent. Geben Sie ihm so schnell wie möglich diesen Zettel mit einem Gruß von mir. Mehr brauchen Sie nicht zu tun, machen Sie dann mit der Arbeit weiter wie bisher. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
»Ich möchte nur hier raus«, sagte der Mann leise. »Und meine Tochter befreien.«
»Das wird alles geschehen, noch heute Nacht. Sagen Sie Tom aber, dass er sich beeilen muss, Sturm hin oder her – Piero will den Vergissmein um zwei Uhr früh servieren. Tom muss irgendwie dafür sorgen, dass keiner davon trinkt. Den Conte ablenken, ein Chaos veranstalten, irgendetwas! Und Sie beten am besten darum, dass der Sturm endlich abflaut, und halten sich bereit, Ihre Tochter hier rauszuholen.«
Vielleicht
, dachte Nadja bei sich,
hat David in seinem Todeskampf den Sturm verursacht. Dann wird der Sturm enden, sobald ich ihn befreit habe
.
»Wie soll ich
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