Elfenzorn
sie. »Ich ... ich wollte Euch nicht ...«
Was?, dachte Pia, als sie nicht weitersprach, sondern nunmehr endgültig zu schluchzen begann. »Schön langsam, Liebes«, sagte sie. »Du wolltest mich nicht erschrecken, ich weiß. Aber das wäre doch jetzt eigentlich mein Text gewesen, oder?«
Auf jeden Fall war es der falsche Text, denn einmal ganz davon abgesehen, dass die junge Frau ganz gewiss nicht verstand, was sie überhaupt meinte, begann sie nun noch stärker zu zittern und verlor den Kampf gegen die Tränen endgültig.
»Steh auf«, sagte Pia. »Und hör auf zu weinen ... bitte.«
Einen ihrer beiden Befehle befolgte die junge Frau sofort, aber die Tränen liefen weiter über ihr Gesicht. Sie sah Pia zwar an, versuchte aber erst gar nicht, ihrem Blick standzuhalten.
»Es tut mir leid«, sagte Pia, leise und um einen möglichst sanften Ton bemüht. »Ich wollte dich nicht erschrecken, wirklich.«
»Das habt Ihr nicht, Erhabene«, versicherte die junge Frau. »Ich war es, die –«
»Habe ich doch«, unterbrach sie Pia. »Ich benehme mich wieeine hysterische alte Jungfer, die eine Maus gesehen hat. Tut mir leid. Meine Nerven sind anscheinend nicht mehr die besten.« Sie lächelte aufmunternd. »Wie ist dein Name?«
»Sonvanxecaozoxcl«, antwortete die Dunkelhaarige.
Pia blinzelte. »Wie?«
»Sonvanxecaozoxcl«, wiederholte die junge Frau. »Aber die ehrwürdige Alischa hat mich immer Sonja genannt, Erhabene.«
Manchmal hatte Alica offenbar doch gute Ideen. »Sonja, gut«, sagte Pia. »Und mein Name ist Pia, nicht Erhabene.«
Die dunkelhaarige Frau blickte sie nur aus großen Augen an, die immer noch in Tränen schwammen, und sah jetzt so hilflos aus, dass Pias schlechtes Gewissen sich noch stärker bemerkbar machte.
»Pia«, sagte sie noch einmal. »Du kannst mich auch Gaylen nennen, wenn dir das lieber ist, aber lass die Prinzessin weg, okay?«
»Ganz wie Ihr wünscht, Erhabene.«
»Pia.«
Sonja senkte demütig das Haupt und schwieg, und Pia schluckte das resignierende Seufzen herunter, das ihr über die Lippen kommen wollte. Für einige wenige Momente machte sich Schweigen zwischen ihnen breit. Schließlich räusperte sich Pia unbehaglich und machte eine deutende Geste mit der linken Hand; mit der anderen hielt sie fast krampfhaft die Decke vor ihrer Brust zusammen. »Ist das hier ... dein Haus?«, fragte sie unbeholfen.
»Das der ehrwürdigen Alischa«, antwortete Sonja kopfschüttelnd und sehr hastig. »Maxiotocoatli und ich sind ihre Dienerinnen.«
»Maxiwer?«
»Maxiotocoatli, meine Schwester«, antwortete Sonvanxecaozoxcl, und zum ersten Mal erschien die Andeutung eines – schüchternen – Lächelns auf ihrem Gesicht. Pias Blick wich sie jedoch weiter aus. »Aber die ehrwürdige Alischa nennt sie Maxi, das ist wahr.«
Alicas Dienerinnen. Pia sah mit gerunzelter Stirn an sich herab und gestand sich ein, dass ihre Reaktion vielleicht doch etwas übertrieben gewesen war. Wenn das hier Alicas Haus und die beiden ihre Dienerinnen waren, dann waren sie den Anblick kaum verhüllter weiblicher Rundungen zweifellos gewohnt. Vielleicht waren sie es ja nicht gewohnt, sie angezogen zu sehen.
»Alicas Haus«, sagte sie. »Und wo ist die ehrwürdige Alischa jetzt?«
»Sie bereitet alles für das große Fest heute Abend vor, Erhabene –«
»Pia. Oder Gaylen.«
»– und so lang Ihr hier seid, bleibt sie bei ...«
Sie sprach nicht weiter, und Pia verstand. »Geht mich auch nichts an«, sagte sie. »Aber wenn das hier eigentlich Alicas Haus ist, dann gibt es doch bestimmt ein paar Kleider? Holst du mir etwas zum Anziehen? Ich meine: Ich kann ja schließlich nicht den ganzen Tag nackt herumlaufen, oder?«
Sonja sah sie leicht verwirrt an, hatte es dann aber umso eiliger, auf dem Absatz herumzufahren und den Raum schon beinahe fluchtartig zu verlassen. Pia kam ein wenig zu spät auf den Gedanken, dass es vielleicht keine wirklich gute Idee war, ausgerechnet nach einem von Alicas Kleidern zu verlangen. Aber nun war es zu spät. Und schlimmstenfalls konnte sie es ja in der Mitte durchschneiden und die beiden Teile als Schnürsenkel verwenden.
Während sie darauf wartete, dass Sonja mit dem versprochenen Kleid zurückkam, wickelte sie die Decke zu einem improvisierten Sarong zusammen, registrierte – beiläufig, aber mit einem Gefühl tiefer Erleichterung –, dass ihre Polarausrüstung zwar verschwunden war, ihre Stiefel samt der Magnum und dem Elfendolch aber in einer Wandnische auf sie warteten,
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