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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Vermutungen kamen der Wirklichkeit ziemlich nahe, fand sie. Was allenfalls ein bisschen störte, waren die Farben. Jedermann kannte diese Pyramiden in verwittertem Steingrau und -braun. Sie hatte irgendwo einmal gelesen, dass die alten Maya eine Vorliebe für kräftige Farben gehabt hatten, aber das war stark untertrieben. Dort draußen tobte ein wahres Farbengewitter, bei dessen Anblick wahrscheinlich selbst ein Andy Warhol temporär erblindet wäre, und es beschränkte sich ganz und gar nicht nur auf die Kleidung der gewaltigen Menschenmenge, die die Straßen ausfüllte.
    Davon einmal abgesehen gab es nicht den allergeringsten Zweifel: Sie war in Chichen Itza, der Hauptstadt des alten Mayareiches, das vor mehr als siebenhundert Jahren untergegangen war. Alles war genau so, wie sie es von zahllosen Bildern und aus dem Fernsehen kannte. Die gewaltige Prachtstraße, die sich beinahe drei Kilometer weit so gerade wie mit einem Lineal gezogen und von zahllosen prächtigen Gebäuden gesäumt bis zum Fuße der Sonnenpyramide hinzog, das berühmte Observatorium und der noch viel berühmtere Ballplatz und schließlich die Sonnenpyramide selbst, vielleicht das, was die meisten Menschen auf der Welt noch am ehesten mit dem Wort Maya in Verbindung brachten. Alles war unversehrt und wirkte nicht neu, aber bewohnt und überaus gepflegt. Es war eine lebendige Stadt, auf die sie hinunterblickte, kein gewaltiges Artefakt.
    Vielleicht mit einer Ausnahme.
    Das Gebäude erhob sich zwar praktisch im Schatten der gewaltigen Pyramide, von diesem Fenster aus konnte sie jedochkaum mehr als eben diesen Schatten erkennen, sowie ein schmales Mauerstück, das schräg in ihr Blickfeld ragte.
    Das allein war jedoch schon fast mehr, als sie sehen wollte.
    An diesem Schatten war etwas, das sich nicht in Worte fassen ließ, sich aber wie ein unsichtbarer Druck auf ihre Seele legte. Es war ein schreckliches Gefühl und vielleicht umso schlimmer, weil es so vollkommen fremd war, als streifte sie ein Hauch aus einer anderen und düsteren Welt, die für Menschen verboten war.
    Etwas raschelte, und sie spürte, dass sie nicht mehr allein war, noch bevor sie etwas wie ein nur unzureichend unterdrücktes Kichern hörte. Pia drehte sich um und blickte in die Gesichter zweier dunkelhaariger, bunt gekleideter Mädchen, die Schulter an Schulter unter der Tür standen und sie aus großen Augen ansahen.
    Eigentlich waren es eher junge Frauen, verbesserte sie sich in Gedanken, mindestens fünf oder sechs Jahre älter als sie selbst, und beides wahre Schönheiten, was sicher zu einem nicht geringen Teil an dem indianischen Einschlag ihrer Züge lag, der ihnen etwas ungemein Exotisches verlieh. Wie die meisten Bewohner der Elfenwelt reichten sie ihr kaum bis an die Schultern (wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellten) und waren von zartem Wuchs, was wohl auch der Grund war, aus dem sie sie im ersten Augenblick jünger eingeschätzt hatte, als sie waren.
    Aber warum hatten sie die Hände vor die Münder geschlagen und bissen sich fast die Zungen ab, um nicht hysterisch loszukichern?
    Pia dachte einen Moment – vergeblich – über diese Frage nach, sah an sich hinab und registrierte erst jetzt wieder, dass sie nur ihr hüftlanges weißes Haar trug. Ganz instinktiv hüllte sie sich in einen Mantel aus unsichtbar machenden Schatten und sprang erschrocken auf, und aus dem amüsierten Ausdruck auf den Gesichtern der beiden Mädchen wurde für einen Sekundenbruchteil Verblüffung und dann schieres Entsetzen.
    Hastig bückte sich Pia nach der Bettdecke, wickelte sichhinein und machte zwei Schritte zur Seite, bevor sie wieder aus der Welt der Schatten herausglitt, und begriff zu spät, dass sie damit alles nur noch schlimmer machte, denn für die beiden jungen Frauen geschah nichts anderes, als dass sie verschwand, für einige Augenblicke auch verschwunden blieb und dann ein paar Meter entfernt und in ihre Decke gewickelt buchstäblich aus dem Nichts wieder auftauchte. Die Kleinere der beiden stieß einen spitzen Schrei aus und war beinahe genauso schnell verschwunden wie sie gerade, und auch die andere fuhr auf dem Absatz herum und stürzte davon.
    »Warte!«, rief Pia erschrocken.
    Die junge Frau erstarrte gehorsam mitten in der Bewegung, drehte sich zitternd herum, und Pias schlechtes Gewissen regte sich noch stärker, als sie vor ihr auf die Knie sank und sich so tief verbeugte, dass ihre Stirn beinahe den Boden berührte.
    »Bitte verzeiht, Erhabene!«, stammelte

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