Elfenzorn
sie konnte zuerst nicht genau sagen, was.
Dann fiel es ihr auf: Vorhin war Kukulkan mit leeren Händengekommen. Jetzt stützte er sich schwer auf einen knorrigen Stab, der fast so groß wie Pia und somit ein gutes Stück größer als er selbst war, und auch an seiner Gestalt war irgendetwas ...
Ihr Blick erfasste den dritten, offensichtlich ungeladenen Besucher, und sie vergaß sowohl Kukulkan als auch den wandelnden Tod.
Es war Jesus. Er folgte den beiden anderen in drei oder vier Schritten Abstand.
Pia winkte ihm zu, doch Jesus erwiderte die Geste nur mit einem angedeuteten und eher grimmigen Nicken, und sie sah aus den Augenwinkeln, wie sowohl der Alkalde als auch sein totenkopfgesichtiger Begleiter ihre Schritte ein wenig beschleunigten, als wäre es ihnen aus irgendeinem Grund wichtig, vor Jesus bei ihr anzukommen. Seltsam – hatte sie Kukulkan und den Sith nicht gerade unten in der Menge gesehen? Sie musste sich getäuscht haben.
Der Schatten huschte zum dritten Mal über das Dach, und diesmal erkannte sie nicht nur eindeutig den Umriss von etwas Großem und Finsterem mit schwerfällig schlagenden Flügeln, sondern glaubte auch das ferne Schreien eines Vogels zu hören, und sie registrierte auch auf einer tieferen Ebene ihres Bewusstseins, wie der Elbenkrieger neben der Tür abermals mit einem Ruck den Kopf in den Nacken legte und den Himmel absuchte.
Hätte sie dasselbe getan, hätte es sie vermutlich das Leben gekostet.
Der Alkalde ... explodierte.
Er verschwand nicht in einem Blitz und einer Wolke aus Blut und zerfetztem Fleisch und Knochen, aber für die unendlich kurze Zeitspanne, die zwischen zwei Gedanken lag, schien sich sein Körper in reiner Bewegung aufzulösen: Sein Federmantel und der gewaltige Kopfschmuck sträubten sich wie die Stacheln eines zornigen Igels in alle Richtungen, der Wanderstab fiel klappernd zu Boden, als sich seine Arme zurückzogen und mit den lächerlich kleinen, verkrüppelt wirkenden Flügeln verschmolzen, undsein Hals dehnte und streckte sich auf geradezu absurde Länge. Wo gerade noch sein Gesicht gewesen war, starrten sie nun zwei tückisch funkelnde Augen voll reiner Mordlust über einem gewaltigen Geierschnabel an. Das alles dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, nicht einmal so lange, wie Alicas entsetzter Schrei brauchte, um an ihr Ohr zu dringen, und als es geschah, ging der Laut beinahe in dem dumpfen Knall unter, mit dem der gewaltige Schnabel genau dort zusammenklappte, wo einen Sekundenbruchteil zuvor noch ihr Gesicht gewesen war.
Pia erinnerte sich nicht, reagiert zu haben, aber sie – oder irgendetwas in ihr – hatte es offensichtlich getan, denn das Nächste, was sie bewusst wahrnahm, war, dass sie auf dem Boden lag; oder um genauer zu sein, dass sie sich verzweifelt herumwarf und über das Dach rollte, um den dreieckigen Raubvogelkrallen zu entgehen, die nach ihr trampelten. Schreie gellten in ihren Ohren, überall rings um sie herum herrschte schiere tobende Bewegung, und Krallen so lang und gekrümmt wie tödliche Dolche hackten nach ihr und hinterließen fingernageltiefe Schrammen im schwarzen Basalt des Daches.
Mit einem Sprung, den sie sich selbst am allerwenigsten zugetraut hätte, kam sie auf die Füße und steppte rücklings von dem kreischenden ... Ding weg, in das sich der Alkalde verwandelt hatte. Es war ein Vogel, ganz eindeutig, aber zugleich auch der absurdeste, hässlichste, gemeinste (und größte) Vogel, den sie jemals gesehen hatte. Wahrscheinlich auch der hartnäckigste, denn er stieß nicht nur einen ebenso schrillen wie misstönenden Schrei aus, sondern hackte auch unverzüglich noch einmal mit seinem gewaltigen Schnabel nach ihr, und obwohl (oder gerade weil?) sie dieses Mal bewusst reagierte und sich zur Seite warf, schrammte der mörderische Papageienschnabel an ihrer Wange entlang und hinterließ einen langen blutigen Kratzer. Zugleich stieß er mit einem seiner muskulösen Beine nach ihr. Die mörderischen Krallen zerfetzten wie durch ein Wunder nur ihr Kleid, ohne die Haut darunter auch nur zu ritzen, aber die pure Wuchtdes Schlages schleuderte sie meterweit zurück und zu Boden. Schmerz explodierte in einer weiß glühenden Woge überall in ihrem Körper zugleich, sie bekam keine Luft mehr, und alles, was sie sah, war mit einem Male rot. Der Riesenvogel stieß ein triumphierendes Kreischen aus und hackte erneut mit seinem entsetzlichen Schnabel nach ihr. Funken und Splitter stoben neben ihrem Gesicht aus dem Stein, und
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