Elfenzorn
schau mir mal tief in die Augen und behaupte das noch einmal.«
Pia tat beides, und Alica nickte und sah ehrlich beeindruckt aus. »Du bist eine bessere Schülerin, als ich dachte.«
»Schülerin?«
»Du lügst schon fast genauso gut wie ich«, antwortete Alica. »Wenn auch nicht ganz so überzeugend.«
Das wäre der Augenblick gewesen, um mit einem Lachen zu reagieren, und wahrscheinlich hätte sie es auch getan, doch da glitt abermals ein Schatten über Alicas Gesicht, und diesmal war es keine Einbildung. Verwirrt trat sie einen halben Schritt von der Brüstung zurück und sah nach oben, aber der Himmel war vollkommen leer.
Pia schalt sich in Gedanken eine hysterische Kuh und wollte sich schon wieder umwenden, doch in diesem Augenblick fiel ihr etwas auf, was wirklich beunruhigend war:
Wenn sie einer Halluzination erlag, dann war sie nicht allein damit. Auch einer der beiden Schattenelben neben der Tür hatte den Kopf in den Nacken gelegt und suchte den Himmel ab, und obwohl sie sein Gesicht hinter der Maske aus glattem schwarzem Eisen nicht erkennen konnte, spürte sie doch die Anspannung, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Seine rechte Hand hatte sich mit solcher Kraft um den Speer geschlossen, als wollte er ihn zerbrechen, und seine ganze Haltung drückte nichts anderes als ... Kampfbereitschaft aus. Ein anderes Wort dafür fiel ihr nicht ein, so unheimlich ihr dieses auch vorkam.
»Pia?«, fragte Alica.
»Nichts«, antwortete sie hastig. »Es ist alles nur ... ein bisschen zu viel, weißt du?«
»Klar«, antwortete Alica. »Ist meine Schuld. Ich habe immerhin ein paar Jahre gebraucht, um das alles zu kapieren, und von dir erwarte ich es in ein paar Stunden.« Sie bemühte sich (mit wenig Erfolg) um ein möglichst zerknirschtes Gesicht. »Meine Schuld. Wink deinem Fanclub noch ein paar Minuten zu, und dann bist du erlöst. Du solltest ein paar Stunden schlafen. Es wird ein verdammt anstrengender Abend.«
»Wieso?«, fragte Pia, trat aber zugleich gehorsam wieder an die Brüstung heran und fuhr fort, der Menge unten auf der Straße zuzuwinken.
»Na, was denkst du denn?«, fragte Alica. »Du glaubst doch nicht, dass du mit ein paar Minuten gut aussehen und winken davonkommst, oder? Ganz Chicken Pizza feiert heute Abend ein rauschendes Fest, und du bist nicht nur der Anlass dafür, sondern auch der Ehrengast.« Sie wiederholte ihr Kopfschütteln, und nun blitzte eindeutig Schadenfreude in ihren Augen auf. »So leicht kommst du aus der Nummer nicht raus, Liebes. Ihr solltet auf Eure treue Dienerin hören und ein wenig Kraft für die bevorstehende Nacht sammeln, Erhabene. Die Jungs und Mädels hier sind hart im Nehmen, und ich fürchte, es wird das Besäufnis des Jahrhunderts.«
Ja, genau das fürchtete Pia auch, vor allem wenn Alica dieses Fest organisiert hatte.
Resigniert wandte sie sich wieder ganz zur Brüstung um und nahm den Jubel und das heftige Winken und Gestikulieren der Menge entgegen, und sowenig sie es auch wollte … ein Teil von ihr genoss diesen Moment.
Und warum denn auch nicht?
Seit Monaten hatte so ziemlich jeder versucht, sie umzubringen, zu foltern, zu versklaven oder für seine Zwecke zu benutzen oder wenigstens ein bisschen zu manipulieren, also tat es ihr verständlicherweise nur gut, ausnahmsweise einmal jemandem zu begegnen, der sich offensichtlich freute, sie zu sehen.
Auch wenn es vielleicht ein paar Tausend mehr waren, als sie erwartet hatte ...
Gerade als sie schon fast glaubte, dass es gar nicht mehr aufhören würde, bedeutete ihr Alica mit einer verstohlenen Geste von der Brüstung zurückzutreten.
Allerdings nahm sie das meiste von dem zurück, was sie gerade zu Alicas Gunsten gedacht hatte, als sie sich herumdrehte und begriff, dass sie die Audienz nicht ganz aus freien Stücken beendet hatte.
Sie waren nicht mehr allein auf dem Dach. Angeführt von Sonja – die absurderweise rückwärts ging und mit heftigem Gestikulieren und einem fast hysterischem Schwall schrillen Geschnatters in einer fremdartig anmutenden Sprache gegen diesen ungeheuerlichen Bruch der Etikette protestierte – traten zwei ihr wohlbekannte und dicht hinter ihnen eine dritte Gestalt auf das Dach heraus. Kukulkan – jetzt ohne seine Begleiterin – und der Sith. Das Geschöpf mit dem Totenkopfgesicht bewegte sich wie üblich wie ein flackernder Schatten, der nicht ganz in der Wirklichkeit verankert war, und auch an dem Alkalden mit dem gewaltigen Federschmuck war irgendetwas anders, aber
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