Elfenzorn
anzustacheln. Kreischend warf es sich auf seine Gegner, rannte dabei vollkommen stoisch in eine silberne Lanzenspitze, die sich fast bis ans Heft in seine Brust bohrte, und schnappte zur Revanche nach dem Arm des Schattenelben.
Pia musste entsetzt zusehen, wie der gewaltige Schnabel mühelos durch schwarzes Eisen und Fleisch und Knochen schnitt und den Unterarm des Mannes dicht unterhalb des Ellbogens abknipste. Und noch bevor das Entsetzen, mit dem dieser Anblick einherging, vollends Besitz von ihr ergreifen konnte, hörte sie ein schrilles Pfeifen hinter sich und fuhr abermals auf dem Absatz herum.
Der zweite Riesenvogel hatte sich wieder aufgerappelt und versuchte mit den praktisch nicht vorhandenen Flügeln zu schlagen. Sein Kopf ruckte in einer abgehackten, typisch vogelartigen Bewegung herum, und der Blick seiner tückischen Augen suchte den ihren.
»Vergiss es, Tweety«, sagte sie. »Du siehst mich nicht.«
Tweety stieß einen trällernden Laut aus, den ein besonders gehässiger Teil ihres Unterbewusstseins mit Tu ich doch übersetzte,senkte den Kopf bis auf die Höhe seines Rückens herab (was bedeutete, dass er sich immer noch ein gutes Stück über ihr befand) und klapperte mit dem Schnabel. Seine Krallen gruben mahlend im Boden, während er festen Stand für den Absprung suchte.
Pia verschenkte eine weitere unendlich kostbare halbe Sekunde damit, an sich herabzusehen und zu begreifen, dass sie nichts sah. Sie war ganz eindeutig in die Schatten getreten und damit unsichtbar.
Der Riesenvogel sah sie trotzdem.
Ein schnatternder Laut drang aus seinem Schnabel, und seine Krallen gruben sich noch tiefer in den Boden, mit einem Geräusch wie von Diamant, der über Chromstahl scharrte.
Dann sprang er.
Diesmal war sie sicher, dass nicht sie selbst es war, die reagierte, sondern etwas anderes, ein Teil von ihr, der besser wusste, was zu tun war, als ihr Intellekt. Der gigantische Laufvogel schoss auf sie zu, sein aufgerissener Schnabel wuchs zur Größe des Mondes an, füllte dann ihr ganzes Sichtfeld aus und wuchs immer noch weiter. Pia stolperte ungelenk einen halben Schritt zurück und zugleich zur Seite und beschrieb dann eine taumelnde unfreiwillige Pirouette, als das Ungeheuer ihren Arm streifte und sie beinahe aus dem Gleichgewicht riss.
Gedankenschnell wandelte sie die Bewegung in einen ungeschickten Stolperschritt um, brachte irgendwie das Kunststück fertig, nicht zu stürzen, und sprintete los. Jesus lag noch immer benommen auf dem Rücken, der verletzte Schattenelb lag am Boden und krümmte sich vor Schmerz, und der andere wich rückwärts vor dem zweiten Riesenvogel zurück und versuchte verzweifelt, sich die albtraumhafte Kreatur mit seiner Lanze vom Leib zu halten. Von dieser Seite hatte sie keine Hilfe zu erwarten.
Sie brauchte eine Waffe!
Hinter ihr kreischte der Riesenvogel so schrill, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und sie bildete sich nicht nur ein, den massiven Stein unter ihren Füßen unter den Schritten derheranstürmenden Bestie zittern zu fühlen. Der Eingang war kaum ein halbes Dutzend Schritte entfernt und trotzdem unerreichbar, und sie hörte endgültig auf, auf ihren Verstand zu hören, und überließ es vollkommen ihren Instinkten, ihre Handlungen zu bestimmen. Blitzschnell steppte sie nach rechts, spürte mehr, als dass sie das Untier an sich vorbeispringen sah, und schlug einen noch schnelleren Haken in die andere Richtung, um dem schnappenden Geierschnabel auszuweichen, als das Monster den Kopf herumwarf und den Hals zu einer unmöglichen Länge reckte.
Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen erreichte sie das Haus, schwenkte nach rechts, wie um geradewegs durch die Wand hindurchzulaufen, und machte dann eine blitzartige Bewegung in die andere Richtung, und ihr gefiederter Verfolger tat ihr tatsächlich den Gefallen, vollkommen ungebremst gegen die Wand neben der Tür zu knallen. Sie war ganz und gar nicht sicher, dass das Knirschen, das sie hörte, nur das Geräusch von berstendem Stein war.
So knapp, dass ihre ohnehin malträtierte Schulter schmerzlich mit dem steinernen Türrahmen kollidierte und sie beinahe schon wieder das Gleichgewicht verloren hätte und die ersten Schritte eher weitertorkelte als lief, erreichte sie die Tür und mobilisierte noch einmal alle ihre Kräfte, um ihren jämmerlichen Vorsprung zu vergrößern. Diamantharte Krallen kreischten mit einem in den Zähnen schmerzenden Geräusch hinter ihr über den Stein, und das brüllende Pfeifen des
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