Elfenzorn
Peralta«, sagte sie langsam. »Ich kann nur noch einmal betonen, dass wir nicht wussten, wem die Ware und das Geld gehören. Ich würde alles tun, um es rückgängig zu machen oder Ihnen wenigstens Ihr Geld zurückzugeben, aber ...«
»Um das Geld geht es nicht«, unterbrach sie Peralta. »Und auch nicht um die Lieferung.« Er genoss einige Sekunden lang sichtlich den ebenso verblüfften wie misstrauischen Ausdruck auf ihrem Gesicht und hob schließlich die Hand. Toni trat mit schnellen Schritten hinter ihrem Stuhl hervor. Pia konnte selbst spüren, wie groß ihre Augen wurden, als er einen abgewetzten Leinenbeutel vor José auf die Schreibtischplatte hievte.
»Aber ich dachte, die … die Polizei hätte sie …«, murmelte sie.
»Mitgenommen?« Peralta nickte. »Ja. Das hat sie.«
Pia starrte den Beutel an, und sie konnte spüren, wie auch noch das letzte Blut aus ihrem Gesicht wich. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, herzukommen. Sie hatte erwartet, dass Peralta sie sprechen wollte, um ihr seinen Unmut über den Verlust seiner Drogen und seiner Million zum Ausdruck zu bringen, und sich gute Chancen ausgerechnet, ihn irgendwie zu beruhigen oder wenigstens mit einer Flut falscher Versprechungen die Zeit zu schinden, die sie brauchte, um einen halbwegs Erfolg versprechenden Plan auszuknobeln, wie es weitergehen sollte.
Aber es ging gar nicht um das Geld oder die Drogen, die Jesus und sie ihm gestohlen hatten. Er hatte beides zurück, und nur Kronn allein und die Polizei von Rio mochten wissen, wie ihm dieses Kunststück gelungen war. Mit einem Mal wurde ihr klar, warum sie wirklich hier war: Er wollte sie für das bestrafen, was sie getan hatte.
Saurer Speichel begann sich unter ihrer Zunge zu sammeln, und ihre Hände begannen zu zittern, obwohl sie sie so fest auf die geschnitzten Armlehnen des Sessels presste, dass das Blut aus ihnen wich. Rache, das was der einzige Grund, aus dem sie hier war; um seinen verkorksten Begriffen von Ehre und Respekt Genüge zu tun, und sonst nichts. Da gab es nichts mehr, worüber sie diskutieren konnten.
Ihr Blick irrte immer unsteter durch den großen und ebenso spärlich wie geschmackvoll möblierten Raum, suchte nach einem Fluchtweg oder einem Schatten, in dem sie sich verbergen konnte, aber sie fand weder das eine noch das andere. Der Raum war fast so groß wie Estebans ganzes Haus und eindeutig größer als ihre komplette Wohnung, aber nahezu leer. An den Wänden hingen in Gold gerahmte Bilder – Pia verstand nichts von Kunst, aber sie wusste trotzdem, dass es sich ausnahmslos um Originale handelte – und zu ihrer Erleichterung kein einziger Spiegel. Die wenigen Möbelstücke, die es gab, waren zweifellos teuer und von erlesener Qualität, aber sie warfen nicht einmal die Spur eines Schattens.
Dafür strömte Sonnenlicht in überreichlichem Maße durch die großen Fenster herein (war es wirklich Zufall, dass die beiden Schläger sie gute zwei Stunden lang draußen in einem winzigen – und von Schatten erfüllten – Vorraum hatten warten lassen und José sie erst hereinrief, als die Sonne aufgegangen war?), und Pia kam sich allmählich vor wie ein Vampir aus einem jener albernen Filme, die Jesus so gerne gesehen hatte. Sie wurde immer mehr zu einem Geschöpf des Zwielichts. Sonnenlicht begann zu ihrem Feind zu werden. Mit ein bisschen Pech zu einem tödlichen Feind.
Peralta ließ ihr hinlänglich Zeit, ihre Angst voll auszukosten (er tat auf seine Art zweifellos genau dasselbe), und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf den Beutel. »Wie gesagt, es geht nicht darum. Ich gebe zu, ich war ein wenig verärgert, als ich gehört habe, was passiert ist, aber ...«
»Wir haben Ihre Leute nicht umgebracht«, unterbrach ihn Pia nervös. »Das war Hernandez.«
»Ich weiß«, antwortete Peralta. »Keine Sorge. Hernandez war klug genug, sofort zu verschwinden, aber auch dumm genug, so etwas überhaupt erst zu versuchen. Meine Leute werden sich zu gegebener Zeit um ihn kümmern.«
Toni, der neben und ein Stück hinter ihm stehen geblieben war, grinste in böser Vorfreude, aber Pia war nicht ganz sicher, wem diese sadistische Vorfreude galt … Hernandez oder ihr. Wahrscheinlich beiden. Und unglücklicherweise war sie im Moment die Einzige von ihnen, die greifbar war.
Da war mit einem Mal wieder jene lautlos flüsternde Stimme in ihr, die ihr klarzumachen versuchte, dass sie weder Toni noch seinen Kumpan und nicht einmal beide zusammen fürchten musste. Aber die
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