Elfenzorn
Scherz zu rechtfertigen.«
»Und?«, fragte Pia nervös. Josés andere Hand spielte immer noch mit dem Silberring.
»Also ist mein Freund, der Juwelier, der Meinung, dass diese Klinge echt sein muss, so unmöglich es auch klingen mag. Erstaunlich, nicht?«
Pia nickte. Ihr Blick irrte immer nervöser zwischen dem Dolch und dem Ring in Peraltas Hand hin und her. Die Schatten darauf bewegten sich mittlerweile sogar noch stärker und begannen wie winzige haardünne Schlangen an seinen Fingern emporzukriechen. Wieso bemerkte das eigentlich außer ihr niemand?
José seufzte. »Also gut, dann geradeheraus.« Er klang ein bisschen nörgelig, als hätte sie ihm einen Spaß verdorben, auf den er sich schon die ganze Zeit über gefreut hatte. »Woher stammt das?«
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete Pia.
»Ach, ich dachte nur«, sagte José achselzuckend. »Weil man es schließlich aus dem Bauch deines Freundes gezogen hat … einer von Hernandez’ Männern?«
Das war ungefähr so weit von der Wahrheit entfernt, wie es überhaupt ging, aber Pia nickte trotzdem. Die wirkliche Wahrheit zu sagen, wäre noch sehr viel komplizierter.
»Dann sollte ich ihm vielleicht diese Frage stellen«, fuhr José in nachdenklichem Ton fort. »Das Dumme ist nur, dass der Comandante im Augenblick nicht hier ist, um meine Fragen zu beantworten. Und ich habe eine Menge Fragen.« Er wedelte mit dem Dolch, und die Schatten auf seiner anderen Hand schienen auf die Bewegung zu reagieren, auf eine Art, die sie nicht in Worte fassen konnte, aber als sehr unangenehm empfand. »Mein Freund, der Juwelier, hat noch etwas gesagt, das ich mindestens genauso interessant finde. Er sagte nämlich, dass dieser Dolch sehr alt sein muss. Mindestens ein paar tausend Jahre, wenn nicht mehr. Und dass er Symbole wie diese noch nie zuvor gesehen hat.«
Pia rettete sich abermals in ein Schulterzucken. »Davon verstehe ich nichts.«
»Also, ich auch nicht«, gestand Peralta lachend. »Aber ich glaube ihm, weißt du – er meint, das Messer müsse … präkolumbianisch sein, was immer das auch heißen mag.«
»Aus der Zeit vor Kolumbus«, sagte Pia, was offensichtlich einFehler war. In Peraltas Augen blitzte es ärgerlich auf. Er wusste, was präkolumbianisch bedeutete, und er schätzte es ganz und gar nicht, belehrt zu werden. Sie fügte dennoch hinzu: »Das könnte von den Mayas stammen, oder den Inkas oder Azteken.«
»Das habe ich auch zunächst gedacht, aber mein Freund, der Juwelier, behauptet, dass das hier nicht nur ganz anders aussieht, sondern auch viel älter ist. Vielleicht von einer Kultur, die bisher noch gar nicht entdeckt worden ist. Und da frage ich mich natürlich, woher ausgerechnet der Comandante so etwas haben soll.«
»Wenn dieser Dolch wirklich so wertvoll ist, wie Ihr Freund behauptet, warum sollte Hernandez dann das Risiko eingehen, und sich mit Ihnen anlegen?«, fragte Pia mit einer Kopfbewegung in Richtung des Beutels; und eigentlich nur, weil sie spürte, dass José genau diese Frage von ihr erwartete. Er hatte sich diesen Vortrag offenbar sorgsam zurechtgelegt und würde vermutlich keine Ruhe geben, bis er sein Sprüchlein aufgesagt und mit seinem kriminalistischen Scharfsinn brilliert hatte.
»Weil Hernandez erstens ein Dummkopf und zweitens gierig ist«, antwortete er. »Und außerdem hat er ja nicht mich, sondern dich und deinen Freund überfallen, nicht wahr? Und sich wahrscheinlich auch noch eingebildet, mit diesem dummen Plan durchzukommen.« Er winkte rasch ab, als er offenbar den Eindruck gewann, dass sie ihn unterbrechen wollte. Pia hatte allerdings nichts dergleichen vor. Je eher er mit seinem brillanten Vortrag zum Ende kam, desto besser.
»Und wenn mein Freund, der Juwelier, recht hat, dann ist dieses Messer hier zwar sehr wertvoll, aber auch praktisch unverkäuflich, jedenfalls für einen Mann wie Hernandez. Vielleicht gibt es da, wo das herkommt, ja noch mehr davon, und Ausgrabungen sind teuer. Sehr teuer.«
»Sie glauben, er hätte … so etwas wie El Dorado gefunden?«, vermutete Pia.
»Etwas in der Art«, antwortete Peralta. »Wer weiß? Es klingt verrückt, ich weiß, aber eigentlich auch nicht viel verrückter alsdie Vorstellung eines antiken Dolches mit einer Klinge aus reinem Diamant.«
Pia nickte stumm und starrte weiter seine Hand an. Die Schatten hatten inzwischen sein Handgelenk erreicht und machten sich daran, unter der Manschette des makellos weißen Hemdes zu verschwinden, die aus seinem Anzug
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