Elfenzorn
müssendiese Bilder wirklich einen gewissen Wert für dich haben.« Er betrachtete die Fotos noch einmal ausgiebig. »Sie war dir sehr ähnlich. Eine schöne Frau. Aber trotzdem …« Er seufzte. »Sentimentalität ist eine löbliche Eigenschaft, mein Kind, wenigstens in Maßen. Aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass du deinen hübschen Hals riskierst, nur um diese Bilder zu holen. Oder ging es dir eher darum?«
Er nahm den Ring auf, und jetzt musste sich Pia wirklich beherrschen, um nicht aufzuspringen und ihm den Silberring aus den Fingern zu reißen. Die Schatten zwischen den fein ziselierten Linien auf seiner Oberseite bewegten sich, und plötzlich war da ein Kratzen tief am Grunde ihrer Seele, ein Gefühl wie von dürren Spinnenbeinen, die über eine Glasscheibe scharrten.
Sie hatte geglaubt, sich unter Kontrolle zu haben, aber so ganz schien das nicht zu stimmen. Josés Blick wurde lauernd.
»Was ist daran so besonders?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete sie. »Ein … Erinnerungsstück, mehr nicht.«
»Ein Erinnerungsstück«, wiederholte José. »Du meinst so etwas in der Art: Das hat nur ideelle Bedeutung für mich und ist für Sie vollkommen wertlos?«
Pia nickte. Ihr Mund war plötzlich so trocken, dass sie gar nicht hätte antworten können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Das Scharren unsichtbarer Spinnenbeine wurde lauter, und sie glaubte wieder ein schattenhaftes Huschen in den Augenwinkeln wahrzunehmen, aber sie unterdrückte den Impuls, den Kopf zu drehen und genauer hinzusehen. Sie wusste, dass dort nichts gewesen wäre.
José drehte den Ring weiter zwischen seinen kleinen Fingern, und der schlängelnde Tanz der Schatten auf seiner Oberseite wurde schneller. »Ein interessantes Stück. Seltsam, irgendwie. Es sieht … billig aus, aber zugleich auch wieder nicht.« Er sah sie auffordernd an, begriff nach einer Sekunde, dass er keine Auskunft bekommen würde, und hob dann die andere Hand, um sich den Ring überzustreifen.
»Nein!«
In ihrer Stimme lag nichts als blankes Entsetzen.
José erstarrte mitten in der Bewegung, zog die linke Augenbraue hoch und legte den Kopf schräg. Absurderweise musste Pia plötzlich wieder an Hernandez’ Lizard denken, der dieselbe Bewegung gemacht hatte. Sein Blick war genauso lauernd gewesen, und vielleicht sogar noch ein bisschen verschlagener. Aber wenigstens hatte er den Ring nicht übergestreift.
»Bitte«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
Zuerst war sie nicht sicher, ob sie damit nicht das genaue Gegenteil erreichte und ihn dazu brachte, den Ring jetzt erst recht anzuziehen – doch dann ließ er die Hand sinken. Er legte ihn zwar nicht weg, doch Pia atmete trotzdem erleichtert auf. Es gab nichts, was diese aberwitzige Furcht begründet hätte, aber sie wusste einfach, dass etwas Grauenhaftes passiert wäre, hätte er den Ring angezogen.
»Er scheint dir wirklich eine Menge zu bedeuten«, sagte José. »Das letzte Erinnerungsstück, das du an deine Mutter hast, nehme ich an. Wahrscheinlich das einzige. Ja, an so etwas hängt man.« Zu ihrer Beunruhigung begann er schon wieder mit dem Ring zu spielen. Das Kratzen unsichtbarer Spinnenbeine in ihrer Seele wurde lauter und kam näher, und auch die Schattenlinien auf dem Ring bewegten sich schneller. Eigentlich hätte er das genauso deutlich sehen müssen wie sie, was aber anscheinend nicht der Fall war.
»Weißt du«, fuhr er in schlecht gespielt beiläufigem Ton fort, »das ist irgendwie komisch. Ich bin ganz sicher, dass ich diesen Ring noch nie zuvor gesehen habe, und trotzdem kommt er mir irgendwie bekannt vor.«
Pia fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen – eine Bewegung, die sie ebenso wenig unterdrücken konnte, wie es ihr gelang, ihren Blick von dem schweren Silberring loszureißen – und ignorierte die unausgesprochene Frage, die sich in seinen Worten verbarg.
Schließlich sprach er sie laut aus. »Dir nicht?«
Nein, sie wollte auch diese Frage nicht beantworten. Sie wollte gar nicht über diesen Ring reden, weil sie das Gefühl hatte, dass allein das schon gefährlich war. »Warum haben Sie mich hierherbringen lassen, Don José?«, fragte sie.
»Nur José, bitte«, unterbrach sie José in allerbester Marlon-Brando-Manier. »Oder Senhor Peralta, ganz wie es dir lieber ist. Don José klingt so … theatralisch.«
Pia blinzelte.
»Und ich glaube, du weißt sehr genau, warum du hier bist, mein Kind.«
»Das mit Ihrer Lieferung tut mir leid, Senhor
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