Elfenzorn
zwar in jeder Beziehung.« Das amüsierte Funkeln verschwand genauso schnell wieder aus Alicas Augen, wie es darin erschienen war. »Das da unten ist nicht nur die örtliche Kloake«, sagte sie. »Du hast die Opferkammer gesehen.«
Ja, das hatte sie. Pia lief jetzt noch ein eisiger Schauer überden Rücken, wenn sie an diesen unheimlichen Ort zurückdachte, und auch das flaue Gefühl in ihrem Magen wurde wieder ein bisschen schlimmer. Sie nickte.
»Kukulkan war nicht glücklich, als er erfahren hat, dass Graukeils Leute dort unten graben«, sagte Alica. »Diese Höhlen sind so etwas wie ihr größtes Heiligtum.« Sie schnaubte. »Was denkst du, warum dort unten kein einziger Elbenkrieger mehr zu sehen ist? Und warum sie hier oben die Wachen abgezogen haben?«
Pia dachte eigentlich gar nichts. Sie sah Alica nur fragend an.
»Im Augenblick herrscht ein wenig dicke Luft zwischen Eiranns Leuten und unseren kleinen braunen Freunden.«
»Aber doch nicht etwa –«
»Nein, das hat nichts mit dir zu tun«, log Alica, ebenso hastig wie wenig überzeugend. »Ich habe ihm nur geraten, sich im Moment ein wenig … na ja, zurückzuhalten.«
Zurückhalten? Pia sah über die Brüstung nach unten. Ja, so konnte man es durchaus nennen. Dort unten war nicht ein einziger Elb zu sehen.
»So schlimm ist es nicht«, sagte Alica rasch, fast als hätte sie ihre Gedanken gelesen. Wahrscheinlich hatte sie es, wenn auch nur auf ihrem Gesicht. »Sie haben sich einfach nur für eine Weile in ihre Quartiere zurückgezogen, bis der erste Groll verflogen ist.«
Es dauerte allerhöchstens eine Sekunde, bis Pia der Fehler in ihrer Argumentation auffiel. »Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass Gamma Graukeil und seine kleinen Freunde seit einem Jahr dort unten buddeln, und niemand hat es gemerkt?«, fragte sie.
»Natürlich nicht«, antwortete Alica. »Aber bis jetzt hat es ihnen anscheinend nicht besonders viel ausgemacht. Vielleicht war sich Kukulkan einfach ein bisschen zu sicher, dass wir sein kleines Geheimnis nicht entdecken.«
»Welches Geheimnis?«, fragte Pia. »Sein revolutionäres Abwassersystem?«
Alica sah sie einen halben Atemzug lang nur irritiert an.»Irgendwie hat sich plötzlich … alles geändert«, sagte sie dann, scheinbar zusammenhanglos, nichtsdestoweniger aber auf eine Weise, die ihr einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Alles begann sich zu verändern, seit sie hier war.
»Ihr glaubt also wirklich, dass dieses sagenhafte Schiff dort unten liegt«, fragte sie, »unter der Stadt?«
»Eirann hat es gehofft und Gamma Graukeil und seine Leute auch«, gestand Alica. »Aber jetzt nicht mehr. Dieser unterirdische See war ihre letzte Hoffnung. Sie haben ein halbes Jahr nach diesem verborgenen Zugang gesucht.«
Und ihn an genau dem Tag gefunden, an dem sie hier aufgetaucht war. »Vielleicht ... ist es ja dort irgendwo«, sagte sie mit belegter Stimme. »Man konnte ja kaum etwas sehen, so dunkel wie es war. Vielleicht ist es ja auch gesunken und liegt auf dem Grund des Sees.«
»Graukeils Männer haben die ganze Höhle abgesucht«, antwortete Alica kopfschüttelnd. »Und dieser sogenannte See ist nicht mehr als eine Pfütze. Kaum einen halben Meter tief.« Sie seufzte, griff in die Tasche und fischte ihr Feuerzeug und einen schwarzen Zigarillo hervor, den sie sich anzündete, bevor sie weitersprach. »Da unten ist nichts, Pia. Und wahrscheinlich ist es auch gut so.«
Pia fragte nicht, warum. Sie fühlte sich hilflos und so verwirrt, dass ihr beinahe körperlich schwindelte; und viel schlimmer noch war das Wissen, dass sich hinter dieser vermeintlichen Hilflosigkeit etwas ganz anderes verbarg, etwas, was sie zutiefst erschreckte.
Alica gab der ermordeten Pflanze in ihrer Hand endgültig den Rest, betrachtete sie eine oder zwei Sekunden lang mit einem Ausdruck leiser Überraschung, als fragte sie sich, was sie da eigentlich tat, und warf sie dann mit einem Achselzucken hinter sich, sodass sie raschelnd in dem fast mannshohen Pflanzendickicht verschwand, aus dem sie gerade gekommen war.
»Und ich hatte schon angefangen, mir ernsthafte Sorgen umdich zu machen«, sagte sie. Alica zog an ihrem Zigarillo und legte den Kopf auf die Seite, um sie fragend anzublicken, und Pia fuhr mit einer Geste auf den Miniaturdschungel fort:
»Die flippige Alica als Kleingärtnerin?«
»Man braucht einen Ausgleich, wenn man Tag und Nacht damit beschäftigt ist die Welt zu retten«, sagte sie ernsthaft. »Gärtnern beruhigt
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