Elfenzorn
die Nerven.«
»Vor allem diese Art von Gärtnern, wie?«, fragte Pia mit einer Kopfbewegung auf das fast mannshohe Dickicht aus Marihuanapflanzen.
Alica grinste noch breiter, zog noch einmal lang an ihrem Zigarillo und blies ihr den Qualm genüsslich ins Gesicht. Pia hustete demonstrativ, musste gegen ihren Willen ebenfalls lachen und atmete dabei noch mehr von dem süßlich riechenden Qualm ein, und diesmal war ihr Husten nicht mehr gespielt.
»Mach ruhig einen tiefen Zug, Liebes«, feixte Alica und blies ihr eine weitere und noch größere Ladung Qualm ins Gesicht. »Es entspannt wirklich.« Pia rang fast verzweifelt nach Luft. Ihre Kehle brannte, als hätte sie versucht, Feuer zu atmen, und ihre Lungen schrien nach Luft, die sie nicht bekam.
»Alles in Ordnung, Prinzessin?« Alicas Lächeln erlosch ganz langsam.
In Ordnung? Pia hätte am liebsten gelacht, wäre sie nicht voll und ganz damit beschäftigt gewesen, nach Luft zu ringen. Ihr wurde schwindelig, und auch die Übelkeit meldete sich endgültig zurück und explodierte nun regelrecht in ihren Eingeweiden.
»Pia?«, fragte Alica noch einmal. Jetzt war eindeutig so etwas wie Angst in ihrer Stimme zu hören.»He! Mach keinen Unsinn! Das war doch nur ein blöder Scherz!«
Ja, das war es in der Tat, dachte Pia. Ihr war entsetzlich übel. Alles drehte sich um sie, und in ihren Ohren rauschte das Blut. Sie wollte nach der Mauerbrüstung greifen, um sich abzustützen, verfehlte sie und hielt sich stattdessen an Alicas Schulter fest, bevor sie sich ausgiebig auf deren schwarze Lackstiefel übergab.
XIX
S ie trieb durch einen Ozean aus Schmerz und Übelkeit. Sie konnte nicht denken, und jeder einzelne Atemzug, zu dem sie sich zwang, wurde zur Qual, als hätte der harmlose Marihuanarauch ihre Lungen und ihre Kehle verätzt. Krämpfe rasten in immer schneller aufeinanderfolgenden Wellen durch ihren Körper, und hätte Gottes Stimme in diesem Moment zu ihr gesprochen und ihr einen einzigen Wunsch gewährt, dann wäre es der gewesen, zu sterben. Da war etwas in ihr, das nach dem Tod schrie, etwas, was noch gar nicht richtig lebte und doch bereits panische Angst vor diesem Leben hatte, das nichts anderes als Schmerzen und Pein für sie bereithielt.
Jemand berührte ihre Stirn, ein Gefühl wie ein heißer Stein, der über ihre Haut schrammte, und selbst diese sachte Bewegung tat so weh, dass sie vor Schmerz am liebsten geschrien hätte.
Eine Stimme sagte etwas, was sie nicht verstand, aber es klang beruhigend, und etwas war in dieser Stimme, was ihr Vertrauen gab und sogar ein wenig Kraft. Die Hand löste sich von ihrer Stirn, glitt an ihrem Gesicht hinab und streichelte sacht und warm über ihre Wange. Dann berührte etwas Hartes ihre Lippen und zwang sie mit ebenso sanfter wie unwiderstehlicher Gewalt auseinander. Wieder sagte eine Stimme etwas, was sie nicht verstand, dann wiederholte sie: »Trink das, Kind. Es wird dir guttun.«
Sie hätte nicht einmal die Kraft gehabt, Widerstand zu leisten, selbst wenn sie es gewollt hätte. Gehorsam öffnete sie den Mund, schmeckte eine bittere Flüssigkeit und musste würgen, zwang sich aber, weiterzuschlucken. Wärme breitete sich in ihrem Leib aus und beseitigte die Übelkeit zwar nicht, machte sie aber ein wenig erträglicher. Sie sollte jetzt die Augen öffnen, aber das war ihr viel zu mühsam. Und sie hatte auch ein wenig Angst vor dem, was sie sehen würde. Vielleicht war sie ja tot und in der Hölle. Schlecht genug dafür fühlte sie sich jedenfalls.
Natürlich war dieser Gedanke albern. Wenn es tatsächlich so etwas wie eine Hölle gab, dann war sie gewiss nicht so .
»Und jetzt entspann dich, Kind«, fuhr dieselbe Stimme fort. Sie klang vertraut, obwohl sie zugleich wusste, dass sie sie nie zuvor gehört hatte. Dann wurde ihr klar, woher das kam: Die Stimme sprach auf dieselbe sonderbare Weise wie Alica, leicht schleppend und mit abgeschliffenen Konsonanten. Dann und wann verschluckte sie eine halbe Silbe.
Pia öffnete die Augen und sah in ein Gesicht, das sich erst nach einigen Sekunden aus einem Schleier aus Tränen zusammensetzte, und auch das nur widerstrebend, als wäre da etwas in ihr, was es gar nicht erkennen wollte.
»So ist es besser.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht, das ihr im gleichen Maße vertraut wie vollkommen fremd vorkam. Es war dunkel, und die Haut sah aus, als wäre sie ein Jahrhundert lang von der erbarmungslosen Sonne dieses Landes verbrannt worden. Augen, die in einem ganzen
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