Elfenzorn
zumindest so etwas Ähnliches wie ein entschuldigendes Lächeln auf ihre Lippen, paffte noch einmal an ihrem Zigarillo und zertrat ihn dann unter dem Absatz ihres oberschenkelhohen schwarzen Lackstiefels. Noch immer an den grünen Stängeln in ihrer Hand herumzupfend und -zerrend, trat sie an die breite Mauerbrüstung heran und sah nach unten. Pia folgte ihr erst nach spürbarem Zögern. Ihr war im Moment wirklich nicht nach Menschenmassen zumute, die ihren Namen skandierten und auf die Knie sanken, sobald sie auch nur ihren Schatten sahen.
Allzu große Menschenmassen waren jedoch nicht zu sehen. Auf der Straße unter ihnen herrschte zwar ein reges Treiben, wie man es in einer Stadt wie dieser erwartete, aber kaum jemand sah zu ihr hoch, und niemand machte Anstalten, vor lauter Ehrfurcht zur Salzsäule zu erstarren. Nach den letzten anderthalb Tagen hätte sie das erleichtern sollen, aber diese so unerwartete Normalität beunruhigte sie eher; auch wenn sie selbst nicht genau sagen konnte, warum.
»Wenn du auch nur ein einziges Wort herumerzählst«, sagte Alica, ohne in ihre Richtung zu sehen, »führe ich eine alte italienische Sitte wieder ein, was den Adel und den Umgang mit ihren Köpfen angeht, mein Wort darauf, Prinzesschen.«
»Erstens war es eine französische«, antwortete Pia, »und zweitens ist es nicht meine Schuld, wenn du niemals zuhörst, Liebes.«
Alica bedachte sie nun doch mit einem – ärgerlichen – Blick, zog aber auch fragend die linke Augenbraue hoch, und Pia fuhr fort: »Gamma Graukeil hat versucht dich zu warnen. Mehr als einmal. Aber du warst ja einfach nicht davon abzubringen, dich unter die größte Klospülung der Welt zu stellen.«
Eine halbe Sekunde lang waren Alicas Augen von nichts anderem als purem Hass erfüllt ... aber dann mischte sich ein anderer Ausdruck hinein, und eine weitere Sekunde lang rang sie einfach nur um ihre Fassung. Dann begann sie zu lachen, zuerst widerwillig, dann jedoch so schallend und so laut, dass Pia gar nicht anders konnte, als in dieses Lachen einzustimmen.
»Also schön«, sagte Alica, nachdem sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, und noch damit beschäftigt, sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. In der anderen Hand hielt sie noch immer das gefiederte grüne Blatt. »Aber du versprichst mir, kein Wort zu überhaupt niemandem zu sagen.«
»Keinen Ton«, versprach Pia.
»Ich glaube dir«, antwortete Alica. »Nur wird das leider nicht viel nutzen, fürchte ich. Wie ich Gamma Graukeil kenne, hat er es längst schon der halben Stadt erzählt. Und spätestens bis morgen früh weiß es auch noch die andere Hälfte.«
Pia hätte ihr ja gerne widersprochen, aber sie konnte es nicht. Sie kannte Gamma Graukeil nicht einmal annähernd so gut wie Alica – aber so gut dann doch.
»Wahrscheinlich werde ich spätestens morgen früh einen anderen Namen haben. Die ehrwürdige Pi-Pi oder Lady Kaka.«
»Hm«, machte Pia. Sie hatte Mühe, ein noch breiteres Grinsen von ihrem Gesicht zu verbannen, und ganz gelang es ihr auch gar nicht, Alicas Blick nach zu urteilen, in dem es schon wieder gefährlich wetterleuchtete.
»Was … war das da unten eigentlich?«, fragte sie, im Grunde nur, um überhaupt etwas zu sagen. »Erzähl mir nicht, dass sie hier eine Kläranlage haben.«
»Nö«, antwortete Alica Grimassen schneidend. »Was das angeht, sind sie genau solche Umweltfreunde wie unsere Vorfahren. Der See hat einen direkten Abfluss ins Meer, und auf diese Weise entsorgen sie auch das ganze Zeug. Sehr ökologisch.«
»Und wo kommt das ganze Zeug überhaupt her?«, fragte Pia.
Alica hob die Schultern. »Ich bin ja selber schuld«, gestandsie. »Die haben hier eine richtige Kanalisation. Eine echte Meisterleistung, wenn man bedenkt, wie alt das alles hier ist. Ich hab mich vom ersten Tag an gefragt, wohin das ganze Abwasser eigentlich geht.« Sie grinste schief. »Na ja. Jetzt weiß ich es.«
»Aber du hast nicht Gamma Graukeil und alle Zwerge Ostengaards hierherzitiert, weil du das Geheimnis der präkolumbianischen Abwasserentsorgung lüften wolltest, oder?«, fragte sie.
Alica dachte offensichtlich eine Sekunde lang über dieses Wort nach und schüttelte dann den Kopf. »Wir … haben etwas gesucht«, antwortete sie.
»Und was?«, fragte Pia, als sie nach einigen weiteren Sekunden begriff, dass Alica es nicht von sich aus sagen würde.
»Die Drakkensang«, antwortete sie.
»Aha. Und was ist das?«
Alica bedachte sie mit einem
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