Elfenzorn
hätte sie ihn in ihrem Kopf gelesen und einfach nur laut wiederholt.
»Du scheinst eine Menge von deinen Freunden mit den spitzen Ohren gelernt zu haben«, sagte sie, während sie sich zu Alica herumdrehte; allerdings erst nach einer guten Sekunde und nachdem sie sicher war, sich wieder vollkommen unter Kontrolle zu haben. Alica musste ihr ihre Überraschung ja nicht allzu deutlich ansehen.
Alica legte fragend den Kopf auf die Seite, und Pia fuhr fort: »Du schleichst dich schon genauso lautlos an wie diese Spitzohren. Muss man das extra lernen, oder ergibt sich das einfach mit der Zeit?«
»Hab ich dir irgendwas getan?«, fragte Alica.
»Nein.« Pia lächelte nervös und räusperte sich dann unecht, was die Situation natürlich nur noch peinlicher machte.»Entschuldige. Das war dumm. Ich weiß auch nicht, warum ich es gesagt habe.«
Jetzt war es Alica, die kurz zögerte, bevor sie antwortete. »Immerhin lebst du noch. Ein paar Leute in der Stadt fangen schon an, sich Fragen zu stellen und vor allem sich Sorgen zu machen.«
»Das ist nett«, antwortete Pia. »Die Sorgen, meine ich.«
»Aber der Rest nicht?« Alica schüttelte tadelnd den Kopf. »Wenn du damit sagen willst, dass es niemanden etwas angeht, was du tust oder lässt und mit wem und wann, dann muss ich dir diesen Zahn ziehen, fürchte ich. Du bist jetzt eine Person des öffentlichen Interesses. Privatleben ist nicht mehr.« Sie brachte sie mit einer schon fast ruppigen Geste zum Schweigen, als Pia zu einem ganz instinktiven Protest ansetzen wollte, und trat an ihre Seite, um dasselbe Relief zu betrachten, das sie seit einer guten Viertelstunde angestarrt hatte, ohne es wirklich zu sehen. Es verging eine ganze Weile, bis sie weitersprach.
»Diese Bilder sind schon toll, nicht wahr? Ich weiß, ich verstehe nichts von Kunst und all diesen Sachen, und von all dem Prä-Kolumbus-Kram schon gar nicht, aber diese Dinger ... haben was. Geht es dir nicht auch so?«
Pia nickte zwar, aber Alicas Worte erfüllten sie trotzdem mit einem sonderbaren Unbehagen, das sie sich gar nicht erklären konnte.
Vielleicht lag es daran, dass sie Bilder wie diese nicht zum ersten Mal sah. Es hatte eine Weile gedauert, und sie konnte nicht einmal genau sagen, wann innerhalb der zurückliegenden Tage sie es gemerkt hatte, aber irgendwann hatte sie begriffen, wie ähnlich diese Bilder den düsteren Reliefs im schwarzen Elfenturm in WeißWald waren, trotz aller Unterschiede.
Was das betraf, so erging es ihr kaum anders als Alica: Sie verstand herzlich wenig von Kunst und von diesem Prä-Kolumbus-Kram noch sehr viel weniger, aber selbst ein Blinder hätte mitden Fingerspitzen ertastet, wie unterschiedlich diese Arbeiten sowohl in ihrer Ausführung als auch in ihrer Stilrichtung waren – und trotzdem wusste sie einfach, dass es da etwas gab, was sie verband ... Etwas an ihnen war gleich, etwas unter der Oberfläche des Sichtbaren, was aber zugleich auch unübersehbar war und ...
Pia würgte diesen Gedanken mit einer bewussten Anstrengung ab. Genug von diesem Unsinn! Es war gerade erst ein paar Tage her, da hatte sie einem leibhaftigen Elben (und sich selbst) glaubhaft versichert, dass sie nicht an Zauberei und Übernatürliches glaubte.
»Aber du bist nicht hergekommen, weil du mit mir über präkolumbianische Kunst sprechen wolltest, oder?«, fragte sie. »Du hast Probleme.«
Alica deutete ein Schulterzucken an und hütete sich, auch nur in ihre Richtung zu sehen. Ihr Blick tastete weiter über das uralte Relief, und Pia fragte sich, ob sie es möglicherweise aus demselben Grund tat wie sie selbst, weil sie irgendeine verborgene Botschaft darin suchte.
»Ja«, seufzte sie nach einigen weiteren Sekunden. »Aber das ist hier vollkommen normal. Ich glaube, ein richtiges Problem hätte ich wahrscheinlich an dem Morgen, an dem ich die Augen aufschlage –«
»Und kein gut aussehender draller Elbenkrieger neben dir liegt?«, fragte Pia.
»– und feststelle, dass ich gar keine Probleme mehr habe«, fuhr Alica unbeeindruckt fort, auch wenn ihre Augen ein paar kleine boshafte Blitze in Pias Richtung verschossen.
»Und was sind das für Probleme?«, fragte Pia.
»Eine Menge, Erhabene, glaubt mir, eine Menge«, seufzte Alica, zwang sich aber dann zu einem Lächeln und drehte sich ganz zu ihr um. »Aber eigentlich bin ich nicht hergekommen, um dich mit meinen Problemen zu langweilen.«
»Weil ich genug eigene habe, meinst du?«
»Hast du darüber
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