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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in dieser Zeit auch mit ihm angestellt hatten, sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihm das eingetrocknete Blut und den Schmutz abzuwaschen. Der Anblick schnürte ihr schier die Kehle zu, auch wenn sie sich selbst sagte, dass sie kein Recht zu dieser Reaktion hatte. Was hatte sie denn erwartet? Das hier war keine Reiche-Leute-Klinik im Herzen von Rio de Janeiro, sondern Steinzeit-Medizin. Sie fragte sich auch, ob sie gewirkt hatte, als sie in Jesus’ leichenblasses Gesicht blickte.
    »Und keine Sorge, ich stelle dieselbe dumme Frage auch nicht«, sagte Jesus. Seine Stimme schwankte leicht und klang so brüchig wie die eines alten Mannes.
    »Und ich beantworte sie trotzdem«, sagte sie. »Besser als dir. Aber das ist ja wohl kein Kunststück.« Sie zwang so etwas wie ein Lächeln auf ihre Lippen, hoffte sie. »Weißt du, allmählich bin ich es leid, den größten Teil meiner kostbaren Zeit damit zu vertrödeln, dass ich an deinem Krankenbett sitze und darauf warte, dass du aufwachst. Sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein?«
    »Dass du niedergestochen und verprügelt wirst, und ich vor lauter Gram weiße Haare bekomme?«
    »Dass du auf mich aufpasst.« Obwohl er das ja getan hatte. Aus keinem anderen Grund lag er jetzt hier und sah aus, als wäre er dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Also gut, das war nichts gewesen.
    Für einen Moment machte sich betretenes Schweigen zwischen ihnen breit. Vielleicht hätte es auch noch länger angehalten und wäre wirklich unangenehm geworden, hätte sich Alica nicht schließlich genauso unecht wie lautstark geräuspert.
    »Also dann ... ähm ... lasse ich euch beiden Turteltäubchen einfach mal allein«, sagte sie. »Ich habe noch eine Menge zu tun. Der Fluch des Erfolgs, wenn ihr versteht. Andauernd will irgendwer was von einem. Entscheidungen treffen, ein Kind segnen, die Welt retten und was sonst noch so anliegt ... das Übliche eben.« Sie seufzte theatralisch und maß Pia mit einem Blick, der nicht annähernd so harmlos war, wie sie vielleicht selbst glaubte. »Also, ihr zwei. Tut nichts, was ich nicht auch täte – oder nein, tut nicht einmal das. Und die geehrte Prinzessin Gaylen wollte dir noch etwas sagen, Langer.«
    Damit verschwand sie.
    Pia sah ihr so lange nach, bis die Gewitterwolken wieder von ihrem Gesicht verschwunden waren. Vielen Dank auch, geehrte Alischa. Vielen herzlichen Dank.
    »Was hat sie damit gemeint?«, fragte Jesus. Er setzte sich auf, und diesmal versuchte Pia nicht mehr, ihn daran zu hindern. Sie ertappte sich sogar dabei, sich zwar neben ihn auf die Bettkante zu setzen, aber ein gutes Stück weiter von ihm wegzurutschen, als nötig gewesen wäre. Er roch nicht gut, was nicht seine Schuld war nach den letzten drei Tagen, aber er roch wirklich nicht gut.
    »Dass sie noch eine Menge zu tun hat?« Pia lachte. »Du kennst doch Alica. Sie ist einfach furchtbar wichtig.«
    »Dass du mir etwas sagen willst«, sagte Jesus.
    »Ach das.« Pia gewann noch einmal eine Sekunde, indem sie sich in ein falsches Grinsen und ein noch sehr viel weniger echt wirkendes Schulterzucken rettete. Warum sagte sie es ihm eigentlich nicht? Jetzt, zum Beispiel? »Ich war ... also, sie hat mich kräftig zusammengefaltet, weil ich mich noch gar nicht bei dir bedankt habe.«
    »Wofür?«
    »Na zum Beispiel dafür, dass du mir das Leben gerettet hast«, antwortete sie, »und dabei um ein Haar selbst draufgegangen wärst.«
    »Ja«, sagte Jesus. »Und wenn ich weniger abgekriegt hätte, dann wärst du auch weniger dankbar?«
    Der schwächliche Klang seiner Stimme verdarb ihm den beabsichtigten Effekt ein wenig, aber Pia starrte ihn trotzdem reichlich verdattert an. Das war nicht der Jesus, den sie kannte. Ihrem gutmütigen und immer leicht tollpatschig wirkenden großen Bruder aus den Favelas wäre eine solche Bemerkung nicht einmal eingefallen .
    »Solltest du irgendwann mal draufgehen, dann verspreche ich dir, mindestens drei Tage lang bittere Krokodilstränen um dich zu weinen«, sagte Pia ernst. »Und du bekommst die prachtvollste Beerdigung, die diese Stadt jemals gesehen hat.«
    Jesus machte ein finsteres Gesicht. »Das hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir leid.«
    »Was soll denn der Unsinn?«, fragte Pia.
    »Dass das Vieh dich beinahe erwischt hätte«, sagte er. »Ich war nicht schnell genug.«
    Pia riss die Augen auf. »Du warst was? Wenn du nicht aufgetaucht wärst, dann hätte das Biest mich umgebracht!«
    »Aber ich hätte

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