Elfenzorn
weil du mir dein Wort gegeben hast, dich und dein ungeborenes Kind nicht in Gefahr zu bringen.«
Pia musste sich beherrschen, um ihr nicht die Antwort zugeben, die ihr auf der Zunge lag. Warum glaubte hier eigentlich jeder, besser als sie selbst zu wissen, was gut für sie war?
»Das habe ich auch nicht«, antwortete sie mühsam beherrscht. »Ich weiß nicht, warum Flammenhuf so hoch geflogen ist. Als wir das letzte Mal hier waren, sind wir von irgendwelchen Raubvögeln angegriffen worden. Vielleicht wollte er verhindern, dass das noch einmal geschieht.«
Ixchel überging das. »Es steht mir nicht zu, Eure Handlungsweise zu kritisieren, oder Euch gar Anweisungen zu geben, Erhabene«, sagte sie, willkürlich wieder zu der offiziellen Anredeform wechselnd, wie sie es die ganze Zeit schon tat, ohne dass es Pia gelungen wäre, irgendein System dahinter zu entdecken.
»Aber ich muss an Eure Vernunft appellieren, Prinzessin. Es steht zu viel auf dem Spiel. Nicht nur Euer Schicksal und das Eures ungeborenen Kindes, obwohl Euch das allein Grund genug sein sollte, Vernunft anzunehmen. Unsere beiden Völker zählen auf Euch. Das ganze Land wartet darauf, dass Ihr zurückkehrt und uns alle von einem Fluch erlöst, der seine Menschen seit tausend Jahren quält. Die Prophezeiung muss erfüllt werden. Oder wollt Ihr, dass noch einmal tausend Jahre vergehen, bis die Menschen hier wieder erfahren, was Freiheit bedeutet?«
»Ja, ich habe gesehen, was sie mit ihrer Freiheit anfangen!«, antwortete Pia. »Die meisten benutzen sie nur, um sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.«
»Weil niemand da ist, der sie lehrt, mit diesem kostbarsten aller Geschenke umzugehen«, sagte Ixchel. »Und auch das wurde prophezeit, Prinzessin. Ihr werdet es sein, die den Menschen in diesem Land die Freiheit bringt – aber es wird Eure Tochter sein, die sie lehrt, verantwortungsvoll damit umzugehen. Wir haben zu lange auf diesen Moment gewartet, Prinzessin. Ihr habt nicht das Recht, ihn aufs Spiel zu setzen.«
»Aber wenn in eurer geliebten Prophezeiung doch alles so haarklein vorausgesagt ist, dann kann ich doch eigentlich gar nichts mehr falsch machen, oder?«, fragte Pia.
Ixchel schüttelte nur traurig den Kopf. »Die Götter zeigen uns nur Möglichkeiten auf«, antwortete sie. »Sie nehmen uns nicht den freien Willen. Wir können von diesem Weg abweichen.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Schwertgurts, der neben ihr auf dem Tisch lag. »Dieser Narr Torman hätte Euch das niemals zurückgeben dürfen. Nicht jetzt, wo er weiß, wer Ihr wirklich seid.«
»Jemand, dem jedermann sagen darf, was er zu tun und zu lassen hat?«, erkundigte sich Pia. »Vor allem zu lassen, selbstverständlich.«
Statt direkt zu antworten, trat Ixchel ganz an den Tisch heran und nahm Eiranns Zorn auf. Behutsam zog sie das Schwert eine doppelte Handbreit aus seiner Umhüllung und hielt die Klinge ins Licht, sodass sie beinahe zu verschwinden schien. »Das ist eine gewaltige Waffe. Mächtig in der Hand dessen, der sie zu führen versteht, und unbezwingbar in der, der sie gehört.«
»Aber das bin nicht ich, willst du sagen.«
Ixchel maß sie mit einem Blick, unter dem sie sich prompt noch unbehaglicher zu fühlen begann, schob die Klinge wieder zurück und legte sie mit einer so vorsichtigen Bewegung auf den Tisch, als bestünde sie wirklich aus Glas. »Wenn Ihr es seid, Erhabene, dann habt Ihr nicht das Recht, diese Hand in Gefahr zu bringen.«
»Ich bringe nichts und niemanden in Gefahr«, antwortete Pia scharf. »Ich habe weder vor, mich mit diesem Schwert in den Kampf zu stürzen, noch, irgendetwas anderes Gefährliches zu tun.«
»Außer nachzusehen, was auf der anderen Seite der Wolken ist.«
»Ach, verdammt!« Jetzt hatte Pia endgültig genug. Sie sprang auf. »Ich bin weder lebensmüde noch leichtsinnig! Und ich bin auch nicht todkrank und gebrechlich, sondern nur ein bisschen schwanger. Das soll der einen oder anderen Frau vor mir auch schon passiert sein!«
Zornig fuhr sie herum, stürmte aus dem Zelt und wäre um ein Haar mit Jesus zusammengeprallt, der vor dem Eingang stand.
»Jesus«, sagte sie. »Ich wollte zwar sowieso gerade zu dir, aber so stürmisch –«
Jesus musste wohl bei Alica in die Lehre gegangen sein, denn er drehte sich auf dem Absatz herum und stürmte gerade noch langsam genug davon, um noch nicht wirklich zu rennen.
»Was ist denn jetzt ...?«, murmelte sie, und dann begriff sie, setzte dazu an, ihm
Weitere Kostenlose Bücher