Elfenzorn
Gefühl war.
Ihr eigenes Zelt – das zwar nicht wirklich die Größe eines Fussballfeldes hatte, ihr aber mindestens nahekam – befand sich auf der anderen Seite des Lagers, und der Weg dorthin war weit genug, um der Sonne Gelegenheit zu geben, ihr Haar und ihre Kleider zu trocknen und die Kälte wenigstens teilweise aus ihrem Körper zu vertreiben. Tief in ihr war noch immer ein Gefühl wie Eis, von dem sie noch nicht sicher war, dass es jemals wieder ganz verschwinden würde, aber sie klapperte zumindest nicht mehr mit den Zähnen, und das Gefühl kehrte in ihre Gliedmaßen zurück.
Außerdem hatte Alica recht gehabt: Ihre Finger, die sie so leichtfertig ins warme Wasser des Flusses getaucht hatte, schmerzten erbärmlich. Und auch sie selbst hatte richtiggelegen, was Ixchel anging.
Die alte Indiofrau erwartete sie bereits mit strengem Gesicht und so vorwurfsvollen Blicken, dass sie wahrscheinlich selbst dann ein schlechtes Gewissen bekommen hätte, hätte es gar keinen Grund dafür gegeben. Sie sagte kein Wort, maß sie aber lange und vorwurfsvoll von Kopf bis Fuß und bedeutete den beiden Mädchen dann ebenso wortlos, über sie herzufallen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie mit allen möglichen Salben, Tinkturen und Püderchen zu traktieren; eine Prozedur, die Pia noch genauso entwürdigend und peinlich vorkam wie am ersten Tag, gegen die zu protestieren sie aber irgendwann aufgegeben hatte. Ganz offensichtlich gab es Punkte, an denen selbst die Macht einer Elfenprinzessin endete, und so ließ sie alles (fast) klaglos über sich ergehen und übte sich in Geduld, während Maxi und Sonja an die nicht gerade leichte Aufgabe gingen, ihr äußeres Erscheinungsbild wieder ihrem Rang anzupassen.
Immerhin fror sie nicht mehr, als die Mädchen fertig waren und ganz zuletzt darangingen, zu zweit und mit großer Begeisterung ihr Haar zu bürsten, und selbst der Eisklumpen tief in ihr war geschmolzen und nur noch eine üble Erinnerung.
Einmal hörte sie Stimmen, und Ixchel verschwand für einige Augenblicke und kam dann zwar noch immer schweigend zurück, wirkte aber irgendwie aufgebracht. Ein einziger Blick in ihre Augen brachte Pia zu der Überzeugung, dass es keine gute Idee gewesen wäre, sie zu fragen, was los war. Sie konnte es sich ohnehin denken.
Als die Mädchen endlich fertig waren, klatschte Ixchel einmal in die Hände – es klang wie ein Peitschenhieb –, woraufhin sie schon fast fluchtartig das Zelt verließen, und Pia setzte sich nicht nur etwas aufrechter hin, sondern wappnete sich auch innerlich gegen die Strafpredigt, die nun unweigerlich folgen musste.Ixchel sah sie jedoch nur weiter stumm und auf eine vorwurfsvolle Art an, die fast schlimmer war, als wenn sie etwas gesagt hätte.
»Was?«, fragte Pia schließlich.
»Ich habe mir Flammenhuf angesehen«, sagte Ixchel. »Du hast das arme Tier fast zuschanden geritten.«
»Ach?«, erwiderte Pia gereizt. »Komisch, ich hatte eher das Gefühl, dass das arme Tier dasselbe mit mir versucht hat. Ich habe ihm nicht befohlen, bis in die Stratosphäre hinaufzufliegen, weißt du?«
»Dieses Tier ist dein treuester Diener«, antwortete Ixchel ernst, »und vielleicht einer von sehr wenigen wirklichen Freunden, die du hier hast. Es würde nie etwas tun, was dich unnötig in Gefahr bringt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber darum geht es nicht.«
»Ach nein?« Pia wollte aufstehen, doch Ixchel gelang es, sie mit einem einzigen strengen Blick auf ihren Platz zu bannen. »Lass mich raten: Du willst mir wieder einmal erklären, dass ich mich nicht überanstrengen soll? Ich glaube, das hast du inzwischen ungefähr hundertmal getan. Wie oft willst du es noch wiederholen?«
»So oft, bis du darauf hörst«, antwortete Ixchel ungerührt, schnitt ihr aber auch sofort und mit einem energischen Kopfschütteln das Wort ab, als sie aufbegehren wollte. »Du weißt, ich war dagegen, dass du diese Expedition begleitest?«
Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Dass Ixchel nicht mit dem Bruch ihres Friedensvertrags gedroht hatte, wenn sie sich dem Heereszug anschloss, war schon alles gewesen – und selbst das hatte sie vermutlich nur Alicas und Eiranns Überredungskunst zu verdanken, die eine geschlagene halbe Stunde lang wie mit Engelszungen auf die alte Maya eingeredet hatten.
»Und ich billige es auch immer noch nicht«, fuhr Ixchel fort, als sie irgendwann einsah, dass sie keine Antwort bekommen würde. »Ich habe mich nur damit einverstanden erklärt,
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