Elfenzorn
sie musste an den winzigen Pfeil denken, den sie im Sattel des vollkommen erschöpften Pferdes gefunden hatten, und war plötzlich beinahe sicher, dass Eirann vergeblich auf die Rückkehr der beiden anderen Boten warten würde.
»Ja, vielleicht«, sagte er auch nur. »Aber es wäre wirklich besser, wenn die Hohepriesterin nichts von Eurem Hiersein wüsste.«
»Warum?«
Eirann deutete auf den Stolleneingang, und sie setzten sich in Bewegung, während er antwortete. »Hohepriesterin Ixchel hat damit gedroht, unser Bündnis auf der Stelle zu lösen, solltet Ihr nicht abreisen«, erinnerte er sie, »und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie diese Drohung noch immer wahr machen wird. Sie ist eine sehr stolze Frau, die keine leeren Drohungen ausstößt. Und wir brauchen sie. Besser gesagt: ihre Krieger.«
»Der Kampf ist vorbei«, antwortete Pia. »Und soviel ich davon verstehe, haben wir ihn gewonnen.«
Eirann blieb ernst. »Ich fürchte, noch nicht«, sagte er mit einer erneuten Geste auf den Mineneingang. »Etliche von ihnen haben sich in den Stollen gerettet, und wie viele Männer noch im Bergwerk waren, als der Angriff begann, weiß ich nicht.«
»Und ihr braucht Ixchels Krieger, um sie aus dem Berg zu treiben, weil keiner von euch eine Silbermine betreten kann.«
Eirann nickte stumm. Sie hatten die Absperrung vor dem Stolleneingang erreicht und blieben stehen, nachdem die Krieger vor ihnen beiseitegetreten waren. Selbst im hellen Tageslicht reichte ihr Blick nur wenige Schritte weit in den Berg hinein. Sie erkannte das erste Stück der Schienen, die aus dem Stollen herausführten, und ein Gewirr wuchtiger Balken, das Decke und Wände stützte, aber alles, was weiter als einen halben Steinwurfentfernt war, verschwand einfach hinter einem Vorhang aus Schwärze, als gäbe es dort drinnen etwas, was das Licht fraß.
»Was ist dort drinnen, Eirann?«, fragte sie. »Und erzähl mir nicht schon wieder, dass es nur um ein bisschen Silber geht. Das Zeug mag ja hier sehr viel seltener sein als bei uns, aber das hier ist ganz bestimmt nicht die einzige Silbermine auf dem ganzen Planeten!«
»Nein«, gestand Eirann, leise und nach einem hörbaren Zögern, und auch jetzt wieder, ohne sie direkt anzusehen. »Ihr habt recht. Der Verlust dieser Mine dürfte einen herben Rückschlag für Nandes’ Pläne bedeuten, und zugleich rettet er sicher vielen tapferen Männern das Leben. Aber er allein hätte diesen Angriff nicht gerechtfertigt. Und wir hätten auch niemals Euer Leben in Gefahr gebracht, nur um die Orks ihres Nachschubs an Silber zu berauben.«
»Was ist dann in diesem Berg?«, wollte sie wissen.
Jetzt sah Eirann sie doch an, wenn auch nur kurz und um sich die Zeit für ein Lächeln zu nehmen. »Es ist schwer, Euch etwas vorzumachen, Prinzessin.«
»Das ist wahr«, sagte Pia, »aber auch keine Antwort auf meine Frage. Was ist in diesem Berg?«
»Ich weiß es nicht, Prinzessin«, sagte Eirann. Sein Blick verlor sich in der Dunkelheit hinter dem Eingang, und seine Stimme wurde leiser. »Nur dass es von großer Wichtigkeit für die Zukunft unseres Volkes ist.«
»Aber ihr wisst nicht, was es ist?« Pia versuchte vergebens spöttisch zu klingen. »Ich nehme an, es steht so in irgendeiner Prophezeiung.«
»Es wurde vorausgesagt, dass die wiedergeborene Prinzessin Eiranns Zorn finden und den Fluch des ewigen Winters brechen wird«, sagte er. »Das ist geschehen, und es steht geschrieben, dass sie selbst unsere Krieger zu einem großen Sieg führen wird. Auch das ist geschehen. Ohne Euch hätten wir die Schlacht verloren.«
»Und was steht in euren geliebten Prophezeiungen darüber, was ich in diesem Berg finden werde?«
»Ihr?«
»Wie du gerade schon bemerkt hast, Eirann: Es ist nicht leicht, mir etwas vorzumachen.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Eirann. »Etwas unvorstellbar Wichtiges. Unser Schicksal. Die Entscheidung, ob unser ganzes Volk leben oder untergehen wird. Mehr weiß ich nicht.«
»Und wenn ich es nicht tue?«, fragte sie. »Oder Ixchel schon weiß, dass ich hier bin?«
»Dann werden wir hineingehen und diese Mine erobern«, antwortete Eirann ohne das geringste Zögern.
»Und dabei sterben?«
»Was zählen die Leben weniger gegen das Schicksal eines ganzen Volkes?«, fragte Eirann. »Alles wird so kommen, wie es geschrieben steht. Es liegt nicht in unserer Macht, das Schicksal zu ändern.«
»Weil es so prophezeit wurde?«
Eirann nickte, und Pia stieß in deutlich schärferem Ton hervor:
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