Elfenzorn
alles so kommt, wie es vorausbestimmt ist«, sagte Ixchel.
Pia wollte antworten, doch in diesem Moment erklang am anderen Ende des Silbertunnels ein gewaltiges Dröhnen, gefolgt von einem Husten und Fluchen, und dann rief Lions gereizte Stimme: »Wenn ich die Damen dann bitten dürfte?« Ixchel versetzte ihr einen Stoß, der sie unbeholfen losstolpern ließ.
Schon mit dem zweiten Schritt fand sie ihr Gleichgewicht wieder, und sie hatte noch nicht den dritten getan, als sie auch spürte, was Ixchel gemeint hatte. Was aussah wie erstarrte Schwärze, das konnte nichts anderes sein als pures Silber, das wie eine Armee unsichtbarer Feuerkäfer über sie herfiel, ihre Haut versengte und ihr das Gefühl gab, Feuer zu atmen. Ihr Herz begann immer schneller und unregelmäßiger zu hämmern, und das mulmige Gefühl in ihrem Magen nahm erst gar nicht den Umweg über richtige Übelkeit, sondern wurde gleich zu Krämpfen, die wie mit rot glühenden Klauen in ihren Eingeweiden wühlten. Der Boden, über den sie lief, verwandelte sich in eine rot glühende Herdplatte, und sie atmete reinen Schmerz. Vielleicht waren es dreißig oder vierzig Schritte. Sie rannte jetzt so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben und doch war sie auf dem allerletzten Stück nicht mehr sicher, es auch wirklich zu schaffen. Sie fiel mehr in Lions Arme, als hineinzulaufen, und sie hörte auch nicht wirklich, was er sagte; nur dass es laut war und ebenso besorgt wiezornig klang. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, und es kostete sie all ihre Willenskraft, sich nicht zu übergeben. Alles wurde schwarz und rot, und das Wühlen in ihren Eingeweiden wurde für einen Augenblick noch schlimmer und erlosch dann so jäh, dass die plötzliche Abwesenheit von Schmerz beinahe genauso quälend war.
Lion begann sie zu allem Überfluss auch noch zu schütteln – anscheinend war er der Meinung, dass ihr noch nicht übel genug war – und weiter mit aufgeregter Stimme auf sie einzureden. Pia machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Worte auch nur verstehen zu wollen, sondern befreite sich mühsam aus seiner Umarmung, machte einen unsicheren Schritt an ihm vorbei und fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, um den Rest von Benommenheit loszuwerden. Auf ihrer Zunge lag der schlechteste Geschmack ihres Lebens, und sie zitterte noch immer am ganzen Leib, aber das Gefühl, durch einen Ozean aus unsichtbarer Säure zu taumeln, die sie von innen und außen zugleich aufzulösen versuchte, war nicht mehr da. Graues Licht umgab sie, und die Luft war so trocken, dass jeder Atemzug in ihrer Kehle brannte. Aber es waren nur Staub und Alter, nicht mehr die verheerende Wirkung des Silbers.
Hinter ihr taumelte Ixchel durch die aufgebrochene Tür, ließ sich erschöpft gegen die Wand sinken und zog die Hand, mit der sie sich abgestützt hatte, mit einem schmerzhaften Keuchen wieder zurück, als hätte sie glühendes Eisen berührt. Falls das überhaupt noch möglich war, sah sie noch elender aus, als Pia selbst sich fühlte. Unter der Sonnenbräune war ihr Gesicht grau vor Schwäche, und ihr Herz raste derart, dass sie das Klopfen der Adern an ihrem Hals sehen konnte. Sie zitterte vor Schwäche, und als Lion sich mit derselben originellen Frage an sie wandte wie gerade an Pia – nämlich wie sie sich fühlte –, musste sie dreimal ansetzen, bevor sie antworten konnte.
»Es ist … bald vorbei«, brachte sie stockend hervor. »Mach dir … keine Sorgen um … um mich.«
»Wer sagt denn, dass ich das tue?«, maulte Lion. Pia fand diese Antwort höchst überflüssig, aber sie fühlte sich einfach zu elend, um zu protestieren.
Stattdessen atmete sie noch einmal tief ein und aus, lauschte in sich hinein, um sich davon zu überzeugen, dass sie auch wirklich aus eigener Kraft stehen konnte, und sah erst dann noch einmal hinter sich. Der Tunnel war wieder in vollkommener Schwärze versunken. Trotzdem gaukelten ihr ihre Nerven eine huschende Bewegung vor, die es nicht gab, und auch das Gefühl, aus unsichtbaren Augen angestarrt zu werden, war nach wie vor da.
Pia verscheuchte den Gedanken. Sie selbst hatte der Spießrutenlauf durch den Silbertunnel schon beinahe umgebracht, und Ixchel auch (wieso eigentlich?), und jeder Elb, der auch nur an diese Todesfalle dachte, würde wahrscheinlich schreiend davonlaufen.
»Weiter«, befahl Ixchel. Ihre Hand deutete in die Dunkelheit hinter Lion. »Nur noch ein paar Schritte.«
Pia konnte in der angegebenen Richtung nur Dunkelheit und
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