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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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diese Geschichte angefangen hatte.

V
    N icht eine, sondern gute vier oder fünf Stunden später war sie nicht nur noch immer in Rio de Janeiro, sondern auch einer Mischung aus Verzweiflung und ziellosem Zorn so nahe, dass sie am liebsten laut losgeheult oder irgendetwas zerschlagen oder zertreten hätte; am besten beides gleichzeitig.
    Sie hatte das Tor nach WeißWald nicht gefunden.
    Natürlich hatte sie nur eine eher vage Vorstellung von dem Ort gehabt, an dem sie nach dem vermeintlichen Hinterhof suchen sollte, in den Jesus und sie damals (vergangene Nacht, um genau zu sein) auf der Flucht vor Hernandez’ Schlägern gestürmt waren und sich unvermittelt in einer fremden und sehr kalten Welt wiedergefunden hatten. Aber wozu besaß sie das zuverlässigste Navigationssystem der Welt, in dem sie noch dazu herumlaufen konnte?
    Um es kurz zu machen: Ihre magischen Stiefel hatten sie im Stich gelassen.
    Sie war auf der anderen Seite der Stadt und viel zu weit weg, um die Entfernung zu Fuß zurückzulegen, und so hatte sie (mit schlechtem Gewissen) einen weiteren Taxifahrer um seinen Fahrpreis geprellt und sich in die Nähe der Cantina fahren lassen, in der Jesus und sie das letzte Mal mit Hernandez gesprochen hatten. Sie war überzeugt gewesen, die richtige Straße von hier aus schon zu finden; ob mit oder ohne Hilfe der magischen Stiefel.
    Irgendwann war ihr klar geworden, dass es wohl eher auf ohne hinauslief. Ihre Stiefel hatten ihr nicht den Weg gewiesen, und seither irrte sie durch ein Labyrinth aus schlammigen Gassen zwischen windschiefen Bretterbuden und Wellblechhütten, die sich immer ähnlicher zu werden schienen, je länger sie darin war. Zwei- oder dreimal hatte sie geglaubt, ein bestimmtes Gebäude oder eine markante Abzweigung wiederzuerkennen, aber das war wohl eher ein frommer Wunsch gewesen.
    Sie hatte sich verirrt, basta.
    Und diese verdammten Stiefel dachten nicht daran, auch nur einmal zu zucken, geschweige denn ihre Schritte in die richtige Richtung zu lenken. Entweder war sie auf dem vollkommen falschen Weg, oder die Zauberkräfte ihrer Stiefel funktionierten in dieser Welt genauso wenig wie ihre heilenden Hände.
    Pia mochte weder das eine noch das andere glauben.
    Ihre Stiefel hatten sie immerhin zu der Mall geführt, was sie letztendlich erst auf die richtige Idee gebracht hatte, und sie war auch sicher, sich wenigstens in der richtigen Gegend zu befinden. Die meisten Gebäude hier standen leer und warteten auf die Bagger, die ein paar Straßen entfernt schon bereitstanden, um das gesamte Viertel dem Erdboden gleichzumachen. Schon als sie hierhergekommen war, hatten nur noch hinter sehr wenigen Fenstern Lichter gebrannt. Jetzt, mitten in der Nacht und der Morgenschon ein gutes Stück näher als der Abenddämmerung, war sie von vollkommener Dunkelheit umgeben, und die Stille war so total, dass sie die schmalen Straßen wie etwas Stoffliches auszufüllen schien.
    Jesus und sie waren zwar ziellos und so schnell gerannt, wie sie nur konnten, aber eigentlich nicht besonders weit, und sie war vollkommen sicher, schlichtweg jede Straße im Umkreis von zwei oder drei Kilometern abgesucht zu haben. Mindestens. Und diese verdammten Schuhe gaben keinen Mucks von sich!
    Nicht einmal jetzt, wo sie gefunden hatte, wonach sie suchte.
    Sie war schon – mindestens – zweimal an der Straße vorbeigelaufen, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu gönnen, aber nun war sie sicher, dass es die richtige war; dieselbe schmale Sackgasse, in die Jesus und sie damals (gestern!) gerannt und dann der Meinung gewesen waren, am Ende ihrer verzweifelten Flucht zu sein. Es war zu dunkel, um mehr als Schatten und ineinanderfließende Umrisse zu erkennen, die alles oder auch nichts bedeuten konnten.
    Es musste die richtige Straße sein.
    Wenn nicht, dann steckte sie bis zum Hals in Schwierigkeiten. Und Jesus würde sterben.
    Sie schüttelte den Gedanken ab – was nicht sein durfte, das konnte auch nicht sein, basta! – versuchte noch einmal die Schatten mit Blicken zu durchdringen, gab den Versuch nach ein paar Augenblicken auf und trat zögernd in die schmale Gasse hinein.
    Sie konnte immer weniger sehen, trotz ihrer deutlich schärfer blickenden Augen, aber sie war auch mit jedem Schritt sicherer, auf dem richtigen Weg zu sein.
    Nach zwei oder drei Dutzend Schritten hatte sie das Ende der Sackgasse erreicht. Vor ihr ragte eine lotrechte Wand aus von grauem Schimmel überzogenem Stein auf, und zur Linken erhob sich

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