Elfenzorn
aufhalten können.
»Wenn du das Ding hier drinnen abfeuerst, dann platzen uns allen die Trommelfelle. Mindestens. Außerdem versaust du die schönen Polster. Sie müssen teuer gewesen sein.«
Toni setzte zu einer scharfen Antwort an, aber José Peralta, der neben ihm saß, brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. »Halt die Klappe, Dummkopf. Und steck das Ding ein. Sie hat recht, weißt du?«
In Tonis Augen erschien jetzt ein Ausdruck blanken Hasses, aber immerhin steckte er die Magnum ein. Nicht, dass er eine Waffe gebraucht hätte, um sie zu bedrohen – wenn er die Hände zu Fäusten ballte, dann mussten sie fast so groß sein wie ihr ganzer Kopf.
»Was soll der Aufzug?«, fragte Peralta mit einer knappen Geste auf den blau-silbernen, gefütterten Skianzug, den Pia immer noch trug. Er war nicht der Erste, der ihr deshalb an diesem Abend sonderbare Blicke zuwarf, aber der Erste, der sie darauf ansprach.
»Man weiß nie, wohin es einen verschlägt«, antwortete Pia. »Ich war schon immer verfroren. Und die Nächte hier können erstaunlich frisch werden.«
Peraltas Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos, aber sie konnte auch in seinen Augen lesen, dass er ihr nicht den Gefallen tat, sie einfach nur für verrückt oder ein bisschen durchgeknallt zu halten. Wenn in seinen Augen überhaupt so etwas wie ein menschliches Gefühl zu erkennen war, dann war es Misstrauen. Er trug einen eleganten Kamelhaarmantel, der der Jahreszeit und den herrschenden Temperaturen beinahe genauso wenig entsprach wie ihr Schneeanzug, und einen albernen kleinen Hut. Irgendwie erinnerte er sie beinahe noch mehr an eine schlechte Marlon-Brando-Imitation als am Morgen. Nur, dass jetzt überhaupt nichts Komisches mehr an ihm war.
»Du nimmst das alles hier noch immer nicht ernst, habe ich recht?«, fragte er, wieder mit seiner komisch verstellten Fistelstimme, und auch daran war jetzt ganz und gar nichts Komisches mehr. »Du bist dabei, einen wirklich schlimmen Fehler zu machen, mein Kind. Das hier ist kein Spiel mehr.« Er streckte die Hand aus, und Toni gab ihm die Papiertüte. Peraltabetrachtete den Aufdruck des Sportartikelgeschäfts eine Sekunde lang stirnrunzelnd, dann mit einem noch nachdenklicheren Blick ihren Skianzug und schließlich noch einmal die Papiertüte, bevor er sie öffnete und nacheinander ihren Inhalt begutachtete: ein Buch, zwei Paar Handschuhe, die separate Kapuze, die zu ihrem Thermoanzug gehörte, und außerdem die Armbrust und die zusätzlichen Pfeile. Schließlich legte er alles wieder sorgsam in die Tüte zurück und gab sie Toni, der sie achtlos zwischen seine Füße fallen ließ.
»Interessant«, sagte Peralta. »Willst du in Urlaub fahren?«
Pia hatte nicht die geringste Lust auf diese Art von Spielchen, aber sie tat ihm trotzdem den Gefallen. »Skifahren soll sehr gesund sein.«
»Und die Armbrust?«
»Man weiß nie, auf wen man so trifft«, antwortete Pia. »Ein Mädchen ist doch heute nirgendwo mehr sicher. Gerade vor ein paar Minuten erst –«
Toni ohrfeigte sie, hart und so schnell, dass sie den Schlag nicht einmal kommen sah. Pias Kopf flog in den Nacken und traf mit solcher Wucht auf der Hutablage auf, dass es beinahe genauso wehtat wie der Schlag selbst.
Sie wartete, bis ihre Augen aufhörten, ihr nichts als bunte Blitze zu zeigen, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und schmeckte salziges Blut.
»Wie gesagt: Du nimmst das alles anscheinend nicht ernst«, seufzte Peralta. »Aber das solltest du.«
»Lassen Sie mich sonst wieder schlagen?«
Toni hob die Hand, um ihre Frage auf diese Weise zu beantworten, doch Peralta hielt ihn mit einer ärgerlichen Geste zurück.
»Nein«, sagte er. »Du hast Glück, mein Kind. Ich bin kein gewalttätiger Mensch und ich hasse es, Kinder zu quälen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß allerdings nicht, wie lange ich meine Männer noch zurückhalten kann. Du musst das verstehen.«
In gewissem Umfang konnte Pia das sogar, auch wenn sie diese Erkenntnis beinahe selbst ein bisschen überraschte. Sie ließ ganz bewusst zwei oder drei Sekunden verstreichen, bevor sie antwortete, in denen sie unauffällig versuchte, die getönte Trennscheibe hinter Toni und ihm mit Blicken zu durchdringen. Es gelang ihr nicht vollständig, aber sie sah immerhin, dass im vorderen Teil des Wagens nicht nur der Fahrer, sondern noch ein zweiter Mann saß.
»Das mit Consuela tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Und was Toni und Ihren anderen Leuten
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