Elfenzorn
wusste doch, dass es sich lohnt, hierherzukommen. Aber ich nehme trotzdem nicht an, dass du mir verraten möchtest, was du da gerade getan hast?«
Das hätte sie nicht einmal gekonnt, wenn sie es gewollt hätte. Pia war beinahe genauso verwirrt wie er. Gestern Abend, als sie das erste Mal hier gewesen war und versucht hatte, ihm zu helfen, da war rein gar nichts geschehen. Ihre Kräfte hatten sie einfach im Stich gelassen.
Jetzt waren sie wieder da. Nicht einmal annähend so stark, wie sie es gewohnt war, aber sie waren wieder da. Pia war nicht sicher, ob sie ausreichen würden, Jesus’ Leben zu retten, aber sie waren ganz zweifellos wieder da, als gäbe es hier plötzlich etwas, das ihr den Zugriff auf die Magie der Elfenwelt ermöglichte.
Ihr Blick tastete über den Dolch in Tonis Hand. Die Waffe stammte von dort. War sie es, die ihr diese Kraft gab, oder jene andere, unsichtbare Präsenz, deren Anwesenheit sie nicht nur immer noch spürte, sondern die nach wie vor stärker wurde, näher kam und das gesamte Zimmer mit dem Odem des Bösen und Gewalttätigen erfüllte?
Ein abermaliges Stöhnen drang in ihre Gedanken. Sie riss ihren Blick von der fast unsichtbaren Klinge in Tonis Hand los und riss dann ungläubig die Augen auf, als sie Jesus’ Gesicht sah.
Er begann zu erwachen. Seine Lider flatterten, und unter der durchsichtigen Atemmaske über seinem Gesicht drang ein leises, unendlich mühsames Röcheln hervor. Er wachte auf.
Mit einer einzigen Bewegung riss sie die Atemmaske von seinem Gesicht, nahm es in beide Hände und beugte sich über ihn, um ihn zu küssen. Seine Lippen waren kalt und spröde und schmeckten nach Tod und Chemie, aber das spürte sie nicht. Sievergaß für diesen Moment sogar Peralta und Toni und alles andere um sich herum. Er lebte, und das war alles, was zählte. Sein Herz schlug, und sie spürte, wie etwas aus ihr heraus- und in ihn hineinfloss, wie ein Strom unwiderstehlicher Kraft, der es einfach zwang, weiter und stärker zu schlagen. »Lion«, flüsterte sie. »Du lebst! Kronn sei Dank! Du lebst!«
Jesus öffnete mühsam die Augen, und erst als sie seinen verwirrten Blick bemerkte, wurde ihr klar, was sie gerade gesagt hatte.
Fast schon erschrocken ließ sie sein Gesicht los und machte einen hastigen Schritt vom Bett zurück.
»Pia?«, murmelte Jesus. »Was … ist passiert? Wie komme ich hierher?« Er war nicht nur wach, sondern wirkte eigentlich eher verwirrt als benommen, und nach einer weiteren Sekunde versuchte er tatsächlich, sich auf die Ellbogen hochzustemmen, aber dafür reichten seine Kräfte nicht, sodass er mit einem erschöpften Seufzen zurücksank.
Die Tür ging auf, und Professor Gonzales kam herein, eine bereits fertig aufgezogene Spritze in der Hand und einen hünenhaften Schatten im Schlepptau, der seinerseits von einem zweiten, irgendwie sonderbar anmutenden Schatten begleitet zu werden schien, der nicht so recht zu seiner breitschultrigen Gestalt passen wollte. Gonzales erstarrte mitten in der Bewegung, und seine Augen wurden so groß, dass es schon fast komisch aussah.
»Großer Gott!«, hauchte er. »Was geht hier vor?«
Ohne eine Antwort abzuwarten – ganz gleich von wem – ließ er die Spritze in der Kitteltasche verschwinden, eilte zum Bett und tastete kurz nach Jesus’ Puls. Sein Blick wirkte ein bisschen erschrocken, als er den langen Schnitt auf Jesus’ Unterarm bemerkte (der übrigens schon zu bluten aufgehört hatte), aber ersparte sich jeden Kommentar, trat rasch an den Wandmonitor und betrachtete dessen Anzeigen mit einem Ausdruck höchster Konzentration. Schließlich wandte er sich wieder Jesus zu, fühlte mit Zeige- und Mittelfinger den Puls an seiner Halsschlagaderund hob dann sein linkes Augenlid an, um konzentriert darunterzusehen. Jesus ließ die ganze Prozedur zwar klaglos über sich ergehen, aber er sah ganz so aus, als hätte er nicht übel Lust, Gonzales mindestens einen der Finger abzubeißen, mit denen er an seinem Gesicht herumfummelte. Pia wäre auch nicht weiter überrascht gewesen, hätte er es getan.
Endlich hörte Gonzales auf, Jesus zu betatschen, und wandte sich mit einem Ausdruck vollkommener Fassungslosigkeit sowohl im Gesicht als auch in der Stimme zu Pia um. »Was haben Sie gemacht?«
»Genau das würde mich auch interessieren, Professor«, sagte Peralta, bevor Pia antworten konnte. »Nebst der Antwort auf die eine oder andere weitere Frage. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, sie wird uns alle
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