Elia Contini 03 - Das Verschwinden
zu stocken und die Stimme zu senken. De Marchi ließ sie nicht aus den Augen. Contini hatte ihr unterdessen wieder die Hand auf die Schulter gelegt. Bonetti wirkte überrascht, während Bossi die Aufmerksamkeit von ihr ablenkte: »Bitte, meine Herren! Setzen wir das Mädchen doch nicht zusätzlich unter Druck. Jetzt braucht es einen Arzt, der …«
Er wurde von Natalias Stimme unterbrochen.
»Kann nicht.«
»Was?«, fragte De Marchi nach.
»Es ist nicht … warum kann ich nicht? Rauch, meine ich!«
Das Mädchen beugte sich zu De Marchi, packte den Aschenbecher und hob ihn hoch. »Kann nicht«, wiederholte sie verzweifelt.
»Natalia«, versuchte es Contini. »Was möchtest du uns sagen? Was ist es, das wir wissen müssen?«
Einen Moment verharrte Natalia reglos, dann stellte sie den Aschenbecher ab und drehte sich zu Contini. Er sah ihre erhitzten Wangen, die von der Anstrengung des Sprechens gefurchte Stirn.
»War da«, stammelte Natalia. »Habe den Mann gesehen. Einmal, noch mal. Hören Sie?«
Contini nickte.
»Sie hat Angst vor ihm. Habe dieses Ding versteckt, mit Schnabel … nein, Flügel.«
»Wie bitte?«, fragte De Marchi.
»Lauter Mädchen. Ist leicht. Mädchen. Aber kann nicht … wie heißt das? Was ist es? Flügel? Schnabel?«
Natalias Stimme erstarb. Contini, ein Stück näher rückend, versuchte sie zu ermutigen: »Der Schnabel?«
Natalia schüttelte den Kopf.
»Flügel?«
Wieder ein Kopfschütteln. Contini ließ nicht locker. »Federn? Ein Vogel? Meinst du einen Vogel?«
»Vogel …«, sagte Natalia.
»Spatz? … Schwalbe? … Adler? … Fliegen? … Flug? … Luft?«
Bei jedem Wort dachte Natalia kurz nach, ehe sie den Kopf schüttelte. De Marchi, der schweigend die Szene verfolgte, hielt Bonetti zurück, der aufgesprungen war und sich wieder einzumischen versuchte. Rechtsanwalt Bossi blickte stumm zwischen Contini und Natalia hin und her.
»Geht nicht«, sagte Natalia.
Contini suchte fieberhaft nach weiteren Wörtern, die sie womöglich verstand, nach Begriffen, die mit der Nacht des ersten August, dem Mord an ihrer Mutter, ihrer verzweifelten Flucht in den Wald zu tun haben könnten. Und plötzlich hatte er einen Geistesblitz: Der halb verwischte Notizzettel fiel ihm wieder ein, den er am Flussufer gefunden und für irrelevant gehalten hatte. Er blickte dem Mädchen scharf ins Auge und fragte: »Tukan? Der Vogel Tukan? Das Lokal?«
Natalia nickte stürmisch.
»Das Tukan«, wiederholte Contini. »Ist es das, was du uns sagen willst?«
Natalia war erleichtert. Sie nickte, lächelte. »Das …«, begann sie und brach ab. »Das …«
Sie kam nicht weiter.
»Tukan«, half Contini.
»Flügel«, sagte sie. »Schnabel.«
»Tukan.«
»Ja … Tukan!«
Natalia stieß das Wort hervor und ließ sich gleich darauf erschöpft in den Sitz sinken. Sie konnte nicht erklären, was es mit dem Tukan auf sich hatte, sie konnte kein weiteres Wort hinzufügen. Bonetti überredete den Kommissär, ihr eine Pause zu gönnen. Natalia ging in ihr Zimmer hinauf, legte sich aufs Bett und schlief augenblicklich ein.
De Marchi forderte Bonetti und Bossi auf, ihn für einen Moment mit Contini allein zu lassen. Dann fragte er: »Was ist das für eine Vogelgeschichte?«
3
Die Katze ist ein Tier
Das Büro des Staatsanwalts verriet nichts über das Naturell der hier residierenden Person. Arno Bazzi zog es vor, keinen Vorteil aus der Hand zu geben. Kein einziges Foto, keine Nippes, keine Bücher außer der üblichen Fachliteratur und seiner Promotionsurkunde, die gerahmt in einer dunklen Zimmerecke hing. Helle, praktische Möbel, ein leerer Schreibtisch und schlichte Stühle aus Stahl und Holz, alles aufs Wesentliche beschränkt. Der Staatsanwalt war selbst nüchtern und aufs Wesentliche beschränkt. Kein aus der Reihe tanzendes Härchen, kein Gramm Fett, kein Tropfen Schweiß.
»Sagen Sie, Commissario – dieser Zettel hier und Continis Spielchen sind die einzigen Elemente, die auf das Tukan verweisen?«
De Marchi wiederum war keiner, der sich aufs Wesentliche beschränkte, er hatte von allem zu viel. Weil die Klimaanlage nicht lief, lief ihm der Schweiß in unerbittlichen kleinen Bächen über die Stirn in die Augen und die Schläfen hinunter.
»Nein«, antwortete er, sich tapfer die Stirn wischend. »Es gibt noch einige andere Hinweise, Contini war nur der erste, der den Namen ›Tukan‹ ausgesprochen hat, das ist wahr …«
»Eben.«
»… aber das Mädchen hat es sofort bestätigt, es war klar,
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