Elia Contini 03 - Das Verschwinden
misstrauisch«, antwortete Bernasconi. »Sie glauben, das sei eine Form von Kontrolle, eine Registrierung. Andere haben bereits einen Vertrauensarzt.«
Die Angaben über den Gesundheitszustand, eingeschlossen erfolgte Impfungen und überstandene Kinderkrankheiten, waren im Allgemeinen ziemlich vollständig.
»Viele dieser Mädchen haben im Tukan gearbeitet«, sagte Bernasconi. »Wie Sie sehen, sind keine Unregelmäßigkeiten festzustellen.«
De Marchi war drauf und dran, die Unterlagen zurückzugeben, als die Meldung einer gewissen Viktoria Valinski, die ihren Hausarzt angegeben hatte, seine Aufmerksamkeit erregte. Und als er den Namen gelesen hatte, war ihm klar, dass die Ermittlung trotz der Skepsis des Staatsanwalts Bazzi die Spur zum Tukan nun nicht länger ignorieren konnte.
»Hausarzt: Dr. Peter Mankell.«
Abgesehen von einer dritten Falte auf seiner Stirn war De Marchi von seiner Verblüffung nichts anzumerken.
»Haben noch andere Mädchen den Doktor Mankell als Hausarzt?«
»Nicht dass ich wüsste.« Bernasconi lächelte verständnislos. »Warum?«
»Och, nur Neugier.«
»Mankell hatte eine Gemeinschaftspraxis mit Rocchi«, sagte Bernasconi.
»Eben«, antwortete der Kommissär. »Deswegen wüsste ich gern, ob ihn auch noch andere Mädchen als Hausarzt angegeben haben.«
»Nicht in letzter Zeit, glaube ich. Früher schon. Außerdem …«
Dr. Bernasconi brach ab. Vielleicht wurde ihm klar, dass er dem Kommissär einen zu saftigen Knochen hinwarf, als dass der hätte widerstehen können.
»Außerdem?«, drängte De Marchi.
»Nun, Mankell hat etliche Male in unserem Auftrag die kostenlose ärztliche Untersuchung durchgeführt. In den letzten Jahren seltener, aber früher war er regelmäßiger Mitarbeiter des kantonsärztlichen Dienstes.«
»Aha.«
»Wie auch immer, Commissario, mir scheint, Sie vergeuden Ihre Zeit. Es geht hier um Prostitution, aber es ist alles völlig legal, während Sie …«
Bernasconi brach ab. De Marchi beendete den Satz an seiner Stelle.
»Während ich in einem Mordfall ermittle. Vielleicht haben Sie Recht. Jedenfalls melde ich mich wieder, ich hätte gern Kopien von manchen dieser Unterlagen. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Keine Ursache.« Bernasconi lächelte. »Wir stehen immer zur Verfügung.«
Als er die Amtsräume des Kantonsarztes verließ, standen drei scharfe Falten auf der Stirn des Kommissärs. Er hatte noch keinen konkreten Verdacht; im Moment wusste er lediglich, dass die Verbindung zwischen dem Tukan und dem Mord ziemlich brüchig war. Aber auf jeden Fall, dachte er, kann es nicht schaden, ein paar Takte mit dem Doktor Mankell zu reden.
16
Der erste Schultag
»Rauch in den Augen«, sagte Natalia irgendwann, wie zur Erklärung dafür, dass sie nicht weiterkam. »Ich bin zurückgegangen, er wollte mir was tun, er wollte die Papiere.«
Sie waren auf dem Balkon ihres Elternhauses in Massagno. Contini sprach wenig, stellte nur ab und zu eine Frage, legte dazwischen lange Pausen ein.
»Ich kann dir nicht helfen. Ich erinnere mich nur nicht genau.«
»Nur Geduld. Du weißt ja, was Giona gesagt hat, und ich meine, er hat Recht.«
Um ehrlich zu sein, war der alte Einsiedler mit seinen kryptischen Äußerungen über Verzug und Schweigen keine große Hilfe gewesen. Aber nicht einmal die Ermittler der Polizei mit ihrem kriminaltechnischen Arsenal hatten Sonia Rocchis Mörder identifiziert.
»Als du ins Zimmer zurückgekommen bist, war der Mann über deine Mutter gebeugt, richtig? Und hat er diese Papiere gesehen?«
»Er wollte sie haben.«
»Hat er dich gleich entdeckt?«
Natalia zuckte die Achseln. »Nicht gleich.«
»Nach ein paar Sekunden?«
Natalia nickte.
Es war der 15. August, Mariä Himmelfahrt, ein Feiertag im italienisch geprägten Tessin. Auf dem Balkon wehte hin und wieder ein Lüftchen, in den Straßen von Massagno aber stand eine schwüle Hitze. Der See in der Ferne wirkte wie eine Verheißung.
»Bist du mit den Papieren geflüchtet?«
Natalia nickte wieder.
»Und du hast sie im Wald versteckt, weißt aber nicht mehr, wo.«
Natalia starrte auf ihre Hände, die untätig in ihrem Schoß lagen.
Am Himmel über Lugano fanden mächtige Wolkenbewegungen statt, und das Gewitter lag greifbar in der Luft. Contini saß schon seit Stunden auf diesem Balkon, trank mit Natalia Eistee und überwachte die einzige Straße, die hier heraufführte.
»Und der Mann, der Mann, der dich verfolgt hat, war das dieser?«
Er zeigte ihr ein Foto von Luciano
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