Elia Contini 03 - Das Verschwinden
jedoch die Notwendigkeit festgestellt, die Existenz allfälliger Verbindungen zwischen dem Mord und dem »Tukan« eingehender zu prüfen.
(gez. Emilio De Marchi)
15
Gesundheitszeugnis
Im neunzehnten Jahrhundert oblagen dem Kantonsarzt der Schutz der Gesundheit der Bürger und insbesondere der Kampf gegen Infektionskrankheiten. Im späteren Verlauf wandelten sich seine Zuständigkeiten entsprechend den jeweiligen Erfordernissen; heute befasst er sich in erster Linie mit Aufsichts- und Überwachungsfunktionen, der Vernetzung verschiedener Projekte auf nationaler und kantonaler Ebene, diversen Beratungsaufgaben sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Insbesondere befasst sich damit Dr. Piero Bernasconi, der am 14. August in seinem Büro in der Via Dogana in Bellinzona mit dem Kommissär De Marchi zusammensaß. Der 15. war Feiertag, und De Marchi legte Wert darauf, die Angelegenheit des Tukan zu klären, ehe er den nächsten Schritt unternahm. Luciano Savis Nachtlokal war dem Kantonsarzt wohlbekannt, jedoch versicherte dieser dem Kommissär, der Laden sei nicht schlimmer als viele andere seiner Art. Er sei eben ein Nachtclub, eine Einrichtung legaler Prostitution. Die dort beschäftigten »Künstlerinnen und Tänzerinnen« seien besser geschützt als die Freischwebenden, die in Hotels oder Massagesalons arbeiteten.
»Der Besitzer ist allerdings ein harter Knochen«, fügte Bernasconi hinzu, »und ich schließe nicht aus, dass er die eine oder andere Gesetzwidrigkeit begangen hat. Aus meiner kantonsärztlichen Sicht aber hat er sich nichts zuschulden kommen lassen.«
»Hm.« De Marchi dachte darüber nach, was er noch fragen könnte. »Also alles in Ordnung, meinen Sie? Aber die Papiere, die Aufenthaltsbewilligungen und so weiter, haben Sie die denn kontrolliert?«
»Aufenthaltsbewilligungen gehen mich nichts an.«
»Ich meine: Gesundheitszeugnisse, Hygienevorschriften, solche Sachen.«
Dr. Bernasconi lächelte. Er war ein groß gewachsener, sonnengebräunter, athletisch gebauter Mann. Er lächelte häufig, als zählte zu seinen zahlreichen Aufgaben auch die Verkörperung bester Gesundheit.
»Schauen Sie, Commissario, wenn sich ein Verdacht auf zwielichtige Machenschaften ergeben hätte, so hätten wir doch sofort die Polizei verständigt. Natürlich, Dr. Rocchis Gattin wurde ermordet, aber offen gestanden, ich glaube nicht, dass ein Zusammenhang mit den Fragen besteht, die ihr Mann gestellt hat.«
De Marchi horchte auf. »Was denn für Fragen?«
»Ach, sind Sie nicht deswegen hier?« Bernasconi lächelte. »Dr. Rocchi kam zu mir, um mir einige Fragen über das Tukan zu stellen, er brauchte Fotokopien von bestimmten Unterlagen. Größtenteils handelte es sich dabei um vertrauliche Dokumente, doch ich konnte ihm immerhin zeigen …«
»Moment bitte. Sie meinen, Rocchi hat sich für das Tukan interessiert? Nicht für Nachtclubs im Allgemeinen?«
»Er hat mir alle möglichen Fragen über das Tukan gestellt.«
Auf De Marchis Stirn hatten sich zwei tiefe Falten gebildet. Er witterte Abgründe.
»Und warum über das Tukan? Haben Sie ihn das nicht gefragt?«
Bernasconi zuckte die Achseln.
»Wenn ich mich recht erinnere, ging es um eine Patientin, die dort gearbeitet hat.«
War es wirklich so simpel? Man muss nur zum Kantonsarzt gehen, und schon liegt die Verbindung zwischen Rocchi und dem Tukan auf dem Tisch? Bei Licht betrachtet, war das doch alles völlig normal. De Marchi aber hatte einen Mordfall aufzuklären; irgendwo musste doch etwas wirklich Anrüchiges sein, das, auch um den Preis eines Mordes, verheimlicht wurde.
»Sind Sie sicher, dass dem Besitzer des Tukan nicht irgendwo eine Ordnungswidrigkeit unterlaufen ist, ein Verfahrensfehler vielleicht?«
»Ich habe hier die Unterlagen, Commissario, schauen Sie selber.«
De Marchi nahm den Stapel Blätter entgegen, den ihm der Arzt über den Tisch zuschob. Auf dem ersten Blatt las er: MELDUNG WEGEN PROSTITUTIONSAUSÜBUNG. Von der Meldung erstattenden Person wurden allerlei Auskünfte gefordert, die vom »Künstlernamen« über Vorstrafen, allfällig vorhandene Tattoos und Piercings bis hin zu den Personalien der Eltern reichten. De Marchi stellte fest, dass die meisten Antragstellerinnen zugleich ein Aufenthaltsgesuch, meist des Typs L oder B, beifügten. Ferner hatten viele bei der Frage »Wünschen Sie eine kostenlose ärztliche Untersuchung?« das Kästchen »nein« angekreuzt. Er fragte Bernasconi nach dem Grund.
»Viele Frauen sind
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