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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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hatte sie das Gefühl, als hätte der Garten diesen Sommer eingefangen und hielte ihn fest, für immer. Die Hecke war nach wie vor sattgrün, das Gras sommerlich frisch, die Löwenmäulchen blühten. Sie war fast am Einnicken, als das Handy ihr den Eingang einer Kurzmitteilung meldete.
    Tschau! Wollte nur wissen wies dir geht, will aber nicht stören. Melde dich wenn du reden magst/kannst.
ABSENDER: Giovanni Canova
EMPFÄNGER: Natalia Rocchi
GESENDET: 26. Aug. 2010, 16:12:17
    Natalia hielt eine Zeit lang das Telefon in der Hand, ohne sich zu rühren. Sie hatte Giovanni gesagt, dass sie ihn nicht mehr treffen konnte, und jetzt simste er. Andererseits – kleine Nachrichten sind kein Treffen. Aber wenn sie jetzt anfing nachzugeben …
    Halt! Du denkst schon wieder wie eine kleine Erwachsene. Zu abgeklärt für dein Alter.
    Natalia bewegte den Daumen über die Tastatur.
    »Hallo, Giovanni?«
    »Hoi, Natalia!«
    »Hab dein SMS gelesen und dachte, ich ruf mal an.«
    »Schön, dass du dich meldest … Wie geht’s?«
    »Gut. Ich bin zu Hause, im Garten, und sonne mich.«
    »Wie geht’s mit dem Sprechen? Der Logopädie?«
    »Gut. Ich mach jetzt auch eine Psychotherapie. Es wird besser.«
    Das Telefonieren fand sie allerdings mühsam. Die Worte kamen langsamer, oft mit größeren Pausen dazwischen.
    »Du wirkst irgendwie müde«, sagte Giovanni.
    »Ich habe heute viel reden müssen. Vorhin war der Richter Bonetti da.«
    »Ah, wegen der Vormundschaft. Ist jetzt was entschieden?«
    »Ja.«
    »Ich stell zu viele Fragen, oder? Hör mal, Natalia, ich hab drüber nachgedacht, was du gesagt hast.«
    »Ja?«
    »Dass du eine Zeit lang allein sein willst. Ist okay für mich. Ich wollte nur sagen, dass ich immer da bin, wenn du Lust hast, mit jemandem zu reden.«
    Natalia suchte nach Worten, um auszudrücken, was sie empfand, aber es war zu kompliziert. Sie murmelte nur: »Danke.«
    Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ich rede gern mit dir. Auch wenn ich jetzt lieber allein bin.«
    »Ja, klar«, sagte Giovanni. »Klar.«
    »Ich habe überlegt, nach Corvesco zu kommen. Ob ich mich dort vielleicht erinnere. Aber …«
    Für einen Moment verlor sie den Faden. »Aber«, sagte sie, als sie ihn wiedergefunden hatte, »ich glaube, im Moment ist es das Beste für mich, allein zu sein.«
    Giovanni sagte nichts.
    »Vielleicht kann ich mich auf diese Weise dran gewöhnen«, fuhr Natalia fort.
    »An was?«, fragte Giovanni.
    »Ans Alleinsein.«
    »Ja, klar«, wiederholte Giovanni. »Klar.«
    Ein Nachtclubbesitzer hat kein leichtes Leben. Der Staat droht ständig, den Artistinnen und Tänzerinnen, die man beschäftigt, die Aufenthaltsbewilligung vom Typ L zu entziehen, und wenn dann noch eine Wirtschaftskrise dazukommt, kündigen sich düstere Zeiten an. War es möglich, dass Ferdi und seinen Handlangern das Wasser bis zum Hals stand und sie etwas mit den Morden zu tun hatten? Oder dass wirklich Luciano Savi der Mörder war?
    Solche Fragen gingen Contini durch den Kopf, während er mit fünf neuen Flößen in den Jackentaschen zum Tresalti hinaufstieg. Die letzten, die er zu Wasser gelassen hatte, waren von den Stromschnellen verschluckt worden.
    Noch immer taten ihm die Knochen weh. Das war der Lohn fürs Detektivspielen … Aber er war dadurch immerhin zu einer Erkenntnis gelangt: Was immer das Motiv dieser Morde war, fest stand, dass Savi und seine Kumpane etwas darüber wussten. Schützten sie jemanden? War der Mörder einer von ihnen, vielleicht Savi selbst? Es sprach sehr viel gegen ihn, angefangen damit, dass er sich kurz nach dem ersten Mord in den Wäldern rund um Corvesco herumgetrieben hatte.
    Contini hievte sich auf einen über dem Wildbach aufragenden Felsblock und warf nacheinander die Flöße ins Wasser. Er sah zu, wie sie untergingen und wieder auftauchten und eine Weile in der schäumenden Gischt kreisten, bis die Strömung sie mitriss. Als sie verschwunden waren, kehrte er quer über die Wiesen nach Hause zurück. Schräg fiel die Sonne aufs Gras, und die Schatten waren lang. Diese Augenblicke der Einsamkeit, wenn er den Spuren eines Fuchses folgte oder in einem Becken bachabwärts seine Flöße suchte, hatten ihn immer heiter gestimmt. Für ein paar Stunden konnte er Francesca und Natalia, die Ermordeten, die Probleme bei der Zeitung ganz vergessen.
    In der letzten Zeit aber gingen ihm ständig Fragen im Kopf herum, und sogar wenn er in seinem geliebten Wald unterwegs war, rekapitulierte er wie unter Zwang die Fakten und suchte

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