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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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fliehen, werden Sie sich nie davon befreien. Nehmen Sie sie an, versuchen Sie, sich das Erlebte anzueignen, statt es zu verdrängen.«
    »Das ist nicht leicht.«
    »Nein. Aber sobald Sie Ihre Erinnerungen angenommen haben, brauchen Sie nur noch die Hände auszubreiten, und sie fliegen davon …« Zacchi bewegte die Hände durch die Luft wie Schmetterlinge. »Sie werden sehen, das schaffen wir.«
    Natalia blickte auf und sagte: »Das müsste dann aber schnell gehen. Ich weiß, dass der Mann …« Sie zögerte. »Ich weiß, dass der Mörder«, fuhr sie fort, »mich sucht.«
    Dr. Zacchi machte sich noch eine Notiz in sein schwarzes Heft.

9
Eine kleine Erwachsene
    »Meinst du denn, es gelingt dir, allein zu leben?«
    »Weiß ich nicht.«
    Natalia betrachtete ihre Hände im Halbdunkel des Wohnzimmers. Durch die Ritzen der Rollläden fielen dünne Sonnenstrahlen, und aus den Nachbargärten drangen jauchzende Kinderstimmen und Geplantsche. Die letzten Köpfler ins Schwimmbecken.
    »Dein Vormund wird Rechtsanwalt Bossi sein«, sagte Bonetti, »und er wird dir bei allen finanziellen und bürokratischen Fragen helfen. Wir hielten es so für das Beste, schließlich bist du bald volljährig.«
    »Ja.« Natalia blickte nicht auf. »Corrado hat mir alles erklärt. Er ist ein sehr guter Anwalt, und er ist … er war mit meinen Eltern befreundet.«
    Bonetti beugte sich näher. Mit Anzug und Krawatte saß er ihr gegenüber auf dem Sofa und erzeugte, wie immer, den Eindruck blasser Tüchtigkeit. Natalia wollte ihn nicht enttäuschen, aber sie hatte ihm nichts zu sagen. Sie hätte jemanden gebraucht, der sie verstand, eine Freundin, die keine Fragen stellte, oder eine sehr weise alte Tante.
    »Das Problem ist«, sagte Bonetti, »dass du allein wirst leben müssen.«
    Leider hatte sie keine weisen alten Tanten, mit denen sie Tee trinken und Kekse essen konnte. Es gab nur einen ehemaligen Richter mit Augengläsern wie Flaschenböden. Aber Bonetti wollte nett zu ihr sein, und Natalia beeilte sich, ihm zu versichern, dass sie ja nicht allein sei. »Ich habe meine Freunde, und die Verwandten aus Bern wollen für eine Zeit lang herkommen. Außerdem fängt bald die Schule wieder an, und nächstes Jahr will ich studieren. Das heißt, wenn das Geld dafür da ist.«
    Bonetti hüstelte. »Mach dir darüber keine Sorgen, Natalia, darum kümmern wir uns schon. Ich werde Rechtsanwalt Bossi unterstützen, wenn es erforderlich ist. Du weißt ja, ich habe ebenfalls deine Eltern gekannt, und ich werde mich dafür einsetzen, dass du ein normales Leben führen kannst.«
    »Vielen Dank.«
    Bonetti war peinlich berührt. Um Fassung bemüht, stand er auf und wanderte im Wohnzimmer auf und ab.
    »Herr Bossi sagte mir, dass du mit einer Psychotherapie angefangen hast.«
    »Ja.«
    »Die hilft dir sicher – deine Fortschritte beim Sprechen sind jedenfalls enorm.«
    »Ja. Manchmal denke ich, dass ich noch einmal nach Corvesco sollte. Die Wahrheit suchen.«
    Bonetti hielt jäh in seiner Wanderung inne. »Hat dir das der Arzt geraten?«
    »Eigentlich nicht … aber er sagt, ich soll nicht vor den Erinnerungen fliehen.«
    »Ah gut, sicher.« Der Richter verhehlte seine Besorgnis schlecht. »Aber sei bitte vorsichtig. Die Polizei hat den Täter noch nicht verhaftet, und deshalb bitte ich dich, dem Anwalt Bossi – oder auch mir – immer mitzuteilen, wo du dich aufhältst. Es dient deiner Sicherheit, verstehst du?«
    Natalia nickte, wie eine kleine Erwachsene.
    So sehen sie mich also, dachte sie, nachdem sie den Richter Bonetti zur Tür begleitet hatte, ich bin die arme Natalia, die beide Eltern verloren und dieses schreckliche Erlebnis gehabt hat. Aber sie wollte kein zu früh erwachsen gewordenes Kind sein! Sie wollte nicht durch Schmerz und Trauer vor der Zeit reif sein müssen.
    Dabei hatte sie bis zu diesem Sommer größten Wert darauf gelegt, sich verantwortungsbewusst zu zeigen und zu beweisen, dass sie erwachsen war. Und jetzt trauerte sie den kindischen Momenten nach, dem unbeschwerten Gelächter mit ihren Freundinnen, den gemeinsamen Abenden, an denen sie sich drei Filme hintereinander reingezogen hatten, den durchgemachten Nächten.
    Natalia zog den Rollladen vor der Terrassentür hoch und trat in den Garten hinaus.
    Sie holte sich einen Liegestuhl und legte sich in T-Shirt und Shorts neben dem Pavillon in die Sonne. Das Wasser im Pool spiegelte das Licht und verströmte einen leichten Chlorgeruch, und Natalia genoss die Wärme auf der Haut. Gleichzeitig

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