Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
kann ja nicht der Karl Andersson sein, der in den sechziger Jahren aus dem NJA rausgeschmissen wurde.«
»Vielleicht ist es sein Vater«, spekulierte Rosén.
»Bald wissen wir mehr«, sagte Kärnlund. »Enquist ist gerade dabei, Olavis Stammbaum auszugraben.«
Kärnlund griff nach dem Telefonhörer, hielt aber in der Bewegung inne, als jemand an die Tür klopfte. Nach einem ›Herein‹ betrat Enquist den Raum. Er begann sofort zu reden.
»Olavis Vater hieß Karl Andersson. Zweitname Olof. Er und seine Frau Amanda wohnten mit ihrem Sohn Olavi bis 1965 in Luleå. Dann sind sie nach Västerås gezogen.«
»So weit ist das also klar«, sagte Rosén und rieb sich die Hände.
»Er hieß?«, fragte Elina.
»Er ist tot«, antwortete Enquist. »Er ist schon 1968 verstorben. Selbstmord. Durch ein einziges Telefonat bin ich an den Totenschein herangekommen. Und jetzt hört weiter zu!«
Erik Enquist wedelte mit einem DIN-A4-Blatt.
»Er hat sich mit einem 7,65er Colt in den Kopf geschossen!«
»Gibt es die Kugel noch?«, fragte Kärnlund.
»Nein, anscheinend nicht. Aber trotzdem! Dieselbe Waffe wie bei Åkesson und Bergenstrand.«
Elina setzte sich.
»Das muss bedeuten, dass Olavi seinen toten Vater gerächt hat. Außerdem hat er den Chemiker Kent Krall umgebracht. Wir suchen also einen Dreifach-Mörder.«
»Wir wissen allerdings nicht, welche Rolle Åkesson gespielt hat, als Karl der Ältere die Kündigung erhielt.«
»Nein. Und was hat der Chemiker mit den anderen beiden zu tun?«, fragte Elina.
Erik Enquist zuckte mit den Schultern.
»Es muss nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben. Vielleicht hat Olavi Andersson beschlossen, mit seinen Feinden abzurechnen. Wir müssen ihn wohl selbst fragen, wenn wir ihn haben.«
»Ist es nicht etwas übertrieben, zwei Leute zu töten, nur weil der Vater vor vierzig Jahren seinen Job verloren hat?«, gab Svalberg zu bedenken.
»Auch das müssen wir ihn fragen, wenn wir ihn geschnappt haben«, sagte Enquist.
»Der Vater hat sich erschossen«, bemerkte Elina leise. »Er hat wohl nicht nur seinen Job verloren.«
»Okay«, sagte Kärnlund. »Wollen wir zusammenfassen, was wir wissen?«
»Ich glaube, es hängt folgendermaßen zusammen«, begann Rosén. »Karl Olof Andersson, Olavis Vater, war zusammen mit Åkesson und Bergenstrand IB-Agent. Intern hatte er den Decknamen 252. Karl Olof war Mitglied der kommunistischen Partei und hat seine Genossen ausspioniert. Dann ist etwas schief gegangen. Gerüchte über Karl Olof Andersson verbreiteten sich. Er fing an zu trinken und wurde entlassen. Seine geheimen Genossen Åkesson und Bergenstrand haben ihm nicht geholfen. Bergenstrand gab ihm dann noch den Rest. Karl Andersson zog nach Västerås, verkam aber vollständig und beging Selbstmord. Und jetzt, aus Gründen, die wir nicht kennen, hat sich sein Sohn in eine Mordmaschine verwandelt, die Rache nimmt.«
»Klingt plausibel«, sagte Enquist. »Aber wo ist Olavi Andersson geblieben?«
»Vielleicht weiß er, dass wir ihm auf der Spur sind«, meinte Svalberg.
»Wie das?«, fragte Kärnlund.
»Ich weiß es nicht. Aber er hat Anna Mileva nicht angerufen, seit sie zu uns gekommen ist. Oder versucht, sie sonst wie zu erreichen. Er ist nicht zu Hause gewesen. Ich glaube, er versteckt sich. Vielleicht bei einem alten Kumpan aus seiner Säuferzeit. Oder in irgendeinem Sommerhaus, in das er eingebrochen ist.«
»Wir müssen uns unter seinen alten Kumpeln umhören«, sagte Kärnlund. »Sonst können wir nicht viel tun. Nur weiter die Augen offen halten und darauf warten, dass er auftaucht.«
»Er ist bewaffnet«, erinnerte Elina. »Er hat schon drei Menschen umgebracht.«
»Ich werde dafür sorgen, dass sich alle Kollegen des Risikos bewusst sind«, sagte Kärnlund. »Vielleicht sollten wir die Medien einschalten und öffentlich nach ihm fahnden? Aber ich zögere … Es könnte ja sein, dass er gar nicht weiß, was wir wissen. Sobald er in der Zeitung auf sein Bild stößt, haben wir das Nachsehen.«
»Wir finden ihn«, sagte Rosén. »Es ist nur eine Frage der Zeit. Es besteht keine große Gefahr mehr. Er hat seine Feinde ja schon umgebracht, oder?«
36
Olavi Andersson blieb auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofs von Luleå stehen. Seine Augen richteten sich auf eine Uhr, die unter dem Dach des Bahnhofsgebäudes hing. Der Sekundenzeiger zuckte vorwärts.
Seit dreißig Jahren bin ich nicht mehr hier gewesen, dachte er.
Er hielt seine Tasche mit der Kleidung und der Pistole in
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