Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Reise, aber der Nachtzug hat was Besonderes. Man wird so schön in den Schlaf geschaukelt. Ich hab ein wenig Flugangst. Und Sie?«
»Ich will auch dahin«, antwortete Olavi, ohne nachzudenken.
»Ich will meine Eltern besuchen. Meine Mutter ist krank. Bin vor zehn Jahren nach Süden gezogen, als es da oben keine Arbeit mehr gab. Ich hatte keine andere Wahl. Jetzt wollen die Kinder nicht zurück. Stammen Sie auch von dort?«
»Nein.«
»Aus Stockholm?«
»Nein … aus Västerås.«
Scheiße, dachte Olavi, aber jetzt ist ohnehin schon alles egal.
»Was haben Sie denn so hoch im Norden zu tun?«
»Geschäfte, ich hab da was zu regeln.«
»Aha. Möchten Sie ein Bier? Ich gebe eins aus. Übrigens, ich heiße Pekka.«
»Olavi. Nein, danke, ich hab aufgehört. Falls Sie verstehen.«
»Aha, dann will ich nicht drängen.«
»Was fehlt Ihrer Mutter?«
»Krebs. Mein Vater hat es schwer. Er will es einfach nicht wahrhaben. Leben Ihre Eltern noch?«
»Nein, beide tot.«
»Viel kann ich ja nicht tun, aber man muss versuchen zu helfen, so gut man kann. Schließlich hat man nur diese einen Eltern. Sie waren es, die mir den Hintern abgewischt haben. Jetzt bin ich an der Reihe, mich zu revanchieren. Ich finde, die Pflicht hat man.«
»Ja, die hat man.«
Der Mann, der Pekka hieß, trank sein Bier aus und erhob sich.
»Und jetzt muss ich pennen. Vielleicht sehen wir uns ja noch.«
»Vielleicht.«
Vielleicht auch nicht, dachte Olavi. Dein Ziel ist nicht meins.
35
Henrik Svalberg hatte beschlossen, das Sozialamt direkt aufzusuchen, sobald es öffnete. Vielleicht würde man Olavi Anderssons Akte gleich raussuchen und ihm eine Kopie seiner Unterschrift geben. In der Anmeldung stellte er sich als Polizist vor und erklärte kurz sein Anliegen. Eine Minute später kam Karin Nilsson durch eine Tür.
»Hallo. Würden Sie bitte mit in mein Büro kommen?«
Svalberg folgte ihr und wurde gebeten, auf dem Besucherstuhl Platz zu nehmen.
»Es geht um einen gewissen Olavi Andersson«, erklärte Svalberg. »Hier ist seine Personennummer.«
Er beugte sich vor und legte einen Zettel auf Karin Nilssons Schreibtisch.
»Im Rahmen einer Ermittlung brauchen wir eine eigenhändige Unterschrift von ihm. Hier gibt es doch sicher eine Akte über ihn? Wir kennen seine Situation. Ein Kopie der Unterschrift würde reichen.«
»Eine Ermittlung? Wird er verdächtigt?«
»Darauf möchte ich nicht antworten.«
»Wie Sie wissen, unterliegen persönliche Akten der Geheimhaltung.«
»Das weiß ich, aber es ist leider furchtbar eilig. Ich hoffe, Sie können mir sofort helfen.«
»Es bedarf eines offiziellen Beschlusses, um die Geheimhaltung aufzuheben.«
Henrik Svalberg beugte sich zu Karin Nilsson vor.
»Nach dem Mann wird gefahndet. Wegen Mordes. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Mord?«
Karin Nilsson drückte sich heftig gegen die Stuhllehne.
»Olavi Andersson? Ich habe ihm Geld für neue Kleidung gegeben. Er wollte ein neues Leben anfangen. Er wirkte überzeugend.«
»Es scheint auch so, als hätte er ein neues Leben angefangen, allerdings nicht so, wie Sie vielleicht denken.«
Karin Nilsson drehte sich um und nahm eine Mappe aus einem Schrank. Sie schlug die Mappe auf, nahm das oberste Blatt heraus und hielt es Svalberg hin.
»Ich mache Ihnen eine Kopie. Aber ich hoffe, Sie täuschen sich.«
Oskar Kärnlund legte die Kopie aus dem Reichsarchiv auf die Kopie des Sozialamtes, und zwar so, dass sich die beiden Schriftzüge möglichst deckten.
»›Andersson‹ sieht fast identisch aus«, stellte er fest. »Und das ›1‹ in Karl und Olavi sieht ebenfalls gleich aus. Wie ein länglicher Ballon.«
»Auch die ›a’s‹ sind gleich«, sagte Elina und tippte mit dem Finger darauf.
Henrik Svalberg und John Rosén beugten sich ebenfalls vor und studierten die krakeligen Unterschriften.
»Vielleicht sollten wir einen Experten um Stellungnahme bitten«, meinte Svalberg.
»Was sollte der sehen, was wir nicht sehen«, knurrte Kärnlund gereizt.
»Unterschiede. Nicht nur Ähnlichkeiten.«
»Okay, aber wir gehen doch davon aus, dass es dieselbe Person ist. Darüber sind wir uns wohl einig, oder?«
Die anderen drei nickten.
»Karl Olavi Andersson hat vermutlich den ›Chemiker‹ ermordet«, sagte Elina. »Und er hat sich für Material im Reichsarchiv interessiert, das zufällig auch für die Ermittlung der Morde an Åkesson und Bergenstrand interessant ist. Trotzdem haben wir es mit zwei verschiedenen Personen zu tun. Olavi
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