Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
danach fragen. Weder ihn noch Agnes Khaled, also die Person, die die Artikel damals geschrieben hat.«
»Lässt sich das überprüfen? Diskret?«
Elina dachte nach.
»Ich glaube, das Einzige, was wir tun können, ist zu überprüfen, ob Parallelen auftauchen. Agnes Khaled hat über sechs solcher Fälle geschrieben. In vieren hatte sie Erfolg.«
»Suche alle Unterlagen heraus, die es über diese sechs Fälle gibt. Die Artikel und die Akten der Migrationsbehörde, alles. Aber lass uns vorsichtig sein. Wir wollen nicht, dass Carlström davon erfährt.«
»Die Artikel können wir nur von der Länstidningen bekommen«, meinte Elina.
»Bestell sie dir«, sagte Rosén. »Auch wenn sie davon erfährt, weiß sie immer noch nicht, warum. Svalberg, bestell du sie. Das macht die Sache noch weniger durchsichtig. Wenn wir die Namen von den anderen fünf Flüchtlingen wissen, dann spreche ich mit dem Sicherheitschef der Migrationsbehörde. Er soll mir die Akten heraussuchen.«
»Ich frage mich wirklich, was wir entdecken werden«, meinte Elina.
Um fünf vor sieben ging Elina den kurzen Weg von zu Hause ins Präsidium. Sie hatte gerade eine lange E-Mail an ihren Vater geschrieben. Über den Fall hatte sie kaum etwas berichtet, sondern mehr über ihre Gedanken während der letzten Tage.
Mira wartete auf dem Parkplatz.
»Ich fahre«, sagte sie und setzte sich ans Steuer.
Sie fuhr den Bergslagsvägen Richtung Norden und bog dann in den Salavägen ein. Die Landschaft war platt, lehmschwarze Äcker, dazwischen wie Inseln Bäume mit kahlen Ästen. Es lag kein Schnee. Der Himmel war gelbbraun, die Wolken hingen tief. Vereinzelte Fahrzeuge, ein paar Häuser mit erleuchteten Fenstern. Keine Menschen.
Nach etwa dreißig Kilometern bog Mira in einen Forstweg in einen Tannenwald ein. Der Wagen rumpelte durch Schlaglöcher, die der letzte Frost hinterlassen hatte und die nicht aufgefüllt worden waren. Sie fuhren an einem dunklen, kleinen Haus vorbei. Elina fragte sich, wer dort wohl einmal gewohnt hatte. Sie gelangten immer tiefer in den Wald, der Weg teilte sich und wurde noch schlechter und schmaler. Die Wolken rissen auf, und ein paar Sterne funkelten in der Lücke. Es ging den Hang hinunter, und etwa fünfzig Meter vom Weg entfernt stand eine Häuslerkate. Etwas weiter in den Wald hinein stand ein größeres Gebäude, vielleicht hatte es früher einmal als Stall gedient. Mira bog zur Häuslerkate ein. Eine Petroleumlampe brannte in einem Fenster.
»Er war der Einzige, der mit Ihnen sprechen wollte«, sagte Mira. »Ich werde Ihnen seinen Namen nicht verraten, aber er kam vor sechzehn Monaten aus dem Nahen Osten. Seit neun Monaten hält er sich versteckt.«
Die Haustür quietschte, und sie kamen in eine kleine Diele. »Behalten Sie die Schuhe an«, sagte Mira, »der Fußboden ist kalt.«
Das Haus bestand nur aus einer Kammer und einer Küche. Ein Petroleumofen glühte neben dem ungemachten Bett. Ein Mann trat aus einer dunklen Ecke. Er war jung, hatte dunkles, welliges Haar und große Augen, mit denen er blinzelnd in das Licht der Petroleumlampe am Fenster schaute. Er gab ihnen die Hand, ohne etwas zu sagen.
»Das hier ist nur vorübergehend«, meinte Mira. »Über den Winter kann er nicht hierbleiben. Es gibt keinen elektrischen Strom.«
Elina sah sich nach einem Platz zum Sitzen um. Mira holte zwei Stühle aus der Küche, in der sie gleichzeitig eine Tasche mit Lebensmitteln abstellte. Der Mann setzte sich aufs Bett. Mira und er unterhielten sich in einer Sprache, die Elina nicht verstand. Langsam, als würde er jedes Wort auf die Goldwaage legen, begann er seine Geschichte zu erzählen. In seinem Heimatland war er an der Universität politisch aktiv gewesen und gehörte außerdem einer Minderheit an. Seinen Bruder hatte man festgenommen, daraufhin hatte man nie wieder etwas von ihm gehört. Schleuser hatten ihn über die Türkei außer Landes gebracht. Seine Eltern hatten das Gold der Familie verkauft, um seine Flucht bezahlen zu können. Im Kofferraum eines Autos war er über die Grenze geflohen, dann weiter mit dem Bus und in langen Fußwanderungen über das Gebirge. Von Polen aus hatten sie ein Boot genommen. Alle Ausweise hatten sie ins Meer geworfen. Er hatte alles wahrheitsgetreu erzählt, als er nach Schweden gekommen war. Trotzdem sollte er abgeschoben werden. Dann hatte man ihm dabei geholfen, sich zu verstecken.
»Eine recht typische Geschichte«, sagte Mira. »Es geht ihm nicht gut. Er ist deprimiert. Wir
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