Elixir
Auto und fuhr an, als Piri auf der Türschwelle erschien und mir eine kleine Tasse Wasser hinterherschüttete, damit » das Glück wie Wasser zu mir fließen würde«.
Verrückt.
Ich drehte das Radio an und sang laut und falsch mit, als ich über den Highway fuhr, und genoss die Fahrt. Zum letzten Geburtstag hatte Mom angeboten, mir ein neues Auto zu schenken, aber ich wollte meinen heiß geliebten, vom Kampf gezeichneten Ford Bronco, der so schön abgefahren mintgrün war, nicht hergeben, bis er auseinanderfiel. Ich hatte ihn selbst gekauft, von meinen ersten zusammengesparten Honoraren. Jeder funkelnagelneue Leihwagen, den ich auf meinen Reisen fuhr, erinnerte mich nur daran, wie sehr ich an meinem eigenen Auto hing. Wir kannten uns, wir waren ein eingespieltes Team… Warum sollte ich daran etwas ändern?
Schon als ich auf den Parkplatz bog, sah ich Ben im Fenster. Dalt’s Diner gab es schon ewig– ein kleines, leicht schmuddeliges Schnellrestaurant mit Vierundzwanzig-Stunden-Service und fettigem Essen und ein beliebter Boxenstopp für Trucker und die Studenten des nahegelegenen Connecticut College, die um drei Uhr früh dringend etwas zu essen brauchten. Ben hatte es entdeckt, weil er im College zusätzlich in Teilzeit arbeitete. Er gab ein paar Vorlesungen pro Semester und wohnte auf dem Campus in den Unterkünften der Fakultät, wodurch er alle Studententreffs kannte.
Dalt’s glich einem Zugwaggon: eine lange Reihe von Abteilen an der Fensterfront und dazu ein Tresen mit großem Grill, auf dem sie so ziemlich alles zubereiten, was auf der Speisekarte steht. Ich möchte schwören, dass sie sogar die Spaghetti vor dem Servieren noch kurz auf den Grill hauen. Dalt’s war also so ziemlich das beste Restaurant der Welt.
Ich setzte mir Sonnenbrille und Käppi auf, ehe ich aus dem Auto stieg. Collegestudenten stürzten sich mit Vorliebe auf mich und laberten mich mit Themen aus Politik, Medizin oder dem New-Age-Schwachsinn voll. Es war ja schön, dass sie so viel Interesse zeigten, aber ich war nicht meine Eltern und konnte bei den Gesprächen nie mit dem angemessenen Sachwissen aufwarten, sodass sie immer etwas enttäuscht abzogen.
» Bereit für auf eine Niederlage?«, fragte ich, als ich das Papier und die Karten sah, die schon auf dem Tisch lagen.
» Wahnsinnsspruch«, sagte Ben, der in einem linierten gelben Notizblock blätterte. » Ich sehe gerade, dass du mir vom letzten Mal noch fünfundsiebzig Cent schuldest.«
» Eine vorübergehende Schwäche«, gab ich zu, schob mich ihm gegenüber auf die Bank und legte das Spielbrett auf den Tisch.
Ben ist in einer Familie groß geworden, in der ständig Cribbage gespielt wurde. Als er zu uns kam, kannte ich das Spiel gar nicht, aber es tat mir leid, dass der Computer sein einziger Herausforderer war, also bat ich ihn, es mir beizubringen. Wie man sich denken kann, ist Ben ein hervorragender Lehrer und innerhalb weniger Wochen war ich ein ernst zu nehmender Gegner für ihn. Ich wusste, ich war in den erlesenen Kreis der Cribbage-Meister aufgenommen, als er mir stolz mein eigenes Brett schenkte. Ich freute mich riesig und brachte noch eine Kordel an einem Ende an, damit ich es an einem Haken in meinem Zimmer aufhängen konnte– an einem Ehrenplatz.
Damals begannen wir unsere rituellen Marathonspiele um Geld– pro Spiel ein Vierteldollar. Zweimal im Jahr war Zahltag: an meinem Geburtstag und an seinem. Die höchste Summe, die einer von uns jemals hatte zahlen müssen, war ein Dollar, aber es ging ja auch nicht ums Geld, sondern darum anzugeben. Und um die Tradition: Wir nahmen immer mein Brett und Bens Karten und gelben Notizblock. Es wäre uns nicht im Traum eingefallen, daran irgendetwas zu ändern.
Aber Cribbage musste noch ein bisschen warten. » Was macht Alissa so?«, fragte ich.
» Alissa ist eine sehr begehrte Frau«, sagte Ben und zog ein ledernes Notizbuch aus seiner Leinentasche.
Ich lachte. Alissa war ich.
Das war Raynas Idee gewesen. Schon seit meiner Kindheit wollte ich Fotojournalistin werden und sammelte meine besten Aufnahmen für mein Portfolio, das ich unter meinem Bett versteckte. Nur Rayna war eingeweiht. So würde mich keiner danach fragen und ich müsste es niemandem erzählen, wenn nichts daraus wurde. Ich wartete, bis ich sechzehn war, dann schickte ich meine Mappe an alle, die ich bewunderte: Magazine, Zeitungen, Online-Journale, TV -Nachrichten-Sender… überallhin. Die darauffolgenden Wochen war ich so nervös, dass ich
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