Elixir
meldete– bis mehrere Tage vergangen waren. Zu diesem Zeitpunkt war es unmöglich, seiner Spur noch zu folgen, und nicht mal alles Geld der Westons oder einflussreiche Sondergesandte der Regierung konnten das ändern.
Vier Monate nach seinem Verschwinden wurde er offiziell für tot erklärt. In dieser Zeit schlug Moms grimmige Gewissheit, dass ihr Geld und ihre Beziehungen uns Dad schon irgendwie zurückbringen würden, zuerst in die Hoffnung um, dass wir auf diese Weise wenigstens Antworten bekommen würden, bis schließlich nichts als bittere Verzweiflung blieb. Sie stand das alles nur durch, indem sie die Tür dahinter zumachte. Sie hatte Angst, wenn ich sie wieder öffnete, würde ich in dasselbe dunkle Loch stürzen.
Sie merkte nicht, dass ich genau dort schon die ganze Zeit war. Das Einzige, was mir vielleicht heraushelfen konnte, war, auf eigene Faust ein paar Antworten zu suchen– auch wenn sie keine neuen Erkenntnisse brachten. Oder das letzte Fünkchen Hoffnung begruben, dass mein Vater möglicherweise doch noch am Leben war.
» Meinst du, sie stimmt dem Auftrag zu?«, fragte Ben, als ich mein Handy herausholte und eine Nummer tippte. Da ich erst in ein paar Monaten achtzehn wurde, benötigte ich jedes Mal ein notariell beglaubigtes Erlaubnisschreiben meiner Mutter, wenn ich außer Landes reiste. Nicht jeder Flughafen wollte es sehen, aber viele schon und es war ein formales Erfordernis. Wenn ich beim brasilianischen Zoll danach gefragt wurde und es nicht vorweisen konnte, würde man mich am Flughafen festhalten und direkt in den nächsten Flieger nach Hause setzen.
Mom meldete sich nicht. Ich hinterließ ihr eine Nachricht mit allen relevanten Informationen und bat sie um Rückruf.
» Du weißt, dass ihr das nicht passen wird«, sagte Ben.
» Ja. Aber es ist ja wegen meiner Arbeit. Ich denke, sie wird nachgeben.« Ich wies mit dem Kopf auf die Spielkarten. » Willst du geben oder willst du deine Schmach lieber noch ein wenig hinauszögern?«
» Dafür, dass du dir gleich den nächsten Rüffel einfängst, reißt du die Klappe ganz schön weit auf.«
» Uuuuuu, da wird wohl jemand übermütig?«
Ben grinste nur und teilte die Karten aus. Als wir Dalt’s viele Stunden später verließen, waren unsere Cribbage-Konten ausgeglichen.
Auf der Heimfahrt klingelte mein Handy.
» Shalom«, trällerte ich meiner Mom entgegen. » Ist es in Israel jetzt nicht mitten in der Nacht?«
» Ich halte das für keine gute Idee, Clea.«
Im Hintergrund konnte ich lautes Lachen und Stimmen hören und wusste, dass sie auf einer Dinnerparty war– die Art von Einladung, die locker und zwanglos daherkam, auf der aber viele der größten politischen Erfolge erzielt wurden. Sie wollte gleich auf den Punkt kommen und hatte nicht lange Zeit zum Telefonieren.
» Es ist ein ganz seriöser Auftrag«, erwiderte ich.
» Der, für den du angefragt wurdest, oder das, was du eigentlich vorhast?«
» Ich werde mich ganz auf meinen Job konzentrieren.«
Gelächter brandete von den anderen Gästen auf. Mom lachte mit.
» Wir reden später«, sagte sie. » Hab dich lieb.«
Sie beendete das Gespräch und ich lächelte. Sie hatte nicht Nein gesagt. Ich drehte mein Radio lauter und machte noch einen kurzen Zwischenstopp bei Rayna, wo wir Popkorn futterten und uns mithilfe des digitalen Videorekorders wieder auf den neuesten Stand der Serien brachten, die wir verpasst hatten. Es war spät, als ich das Cribbagebrett zurück an seinen Platz hängte und ins Bett kroch, in der Hoffnung, ich könnte dieses eine Mal schnell einschlafen.
Ich hatte recht. Ich schlief ein. Aber dann kamen die Träume.
Das Zimmer war in verschiedenen Rottönen gehalten, die zu dem Morgenrock passten, den ich trug. Ich saß vor einem Spiegel und cremte mir das Gesicht ein, um das dicke Bühnen-Make-up abzubekommen.
Es klopfte an der Tür. Dreimal schnell, zweimal langsam. Unser Zeichen. Hastig wischte ich mir die restliche Creme aus dem Gesicht. Die Perücke hängte ich über meine Tischlampe, achtete jedoch darauf, kein Geräusch zu machen. Ich wollte nicht, dass er eintrat, ehe ich bereit war. Dann richtete ich kurz mein Haar und rief: » Herein.«
Ich wandte mich nicht zu ihm um, doch unsere Augen trafen sich im Spiegel. Wir waren jetzt seit einem Jahr ein Paar, doch bei seinem Anblick wurde ich noch immer nervös. Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Nicht, dass er perfekt war. Seine Nase hatte einen kleinen Höcker, als hätte er
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