Elixir
liegen«, meinte ich. » Sie haben ihn in einem komischen Moment erwischt.«
» Ja, ein komischer Moment, in dem er dachte, keiner würde ihn beobachten und er könne zeigen, was er wirklich empfindet.«
Ich gab Rayna das Handy zurück und schüttelte den Kopf. » Ben und ich sind wie Geschwister. Das ist total abwegig.«
» Hey, ich habe Blumen der Nacht gelesen. Es war… oh la, la!«
» Halt die Klappe!«, lachte ich.
» Ich sag ja nur, dass du darüber nachdenken sollst. Wirklich. Ist es so schwer, sich vorzustellen, dass Ben in dich verliebt ist?«
Ich verzog instinktiv das Gesicht– mir kam es jedenfalls merkwürdig vor. Ben und ich hatten nicht diese Art von Beziehung. Er zog mich ständig auf und ich gab es ihm doppelt und dreifach zurück. Das war unser Umgangston. Das Bild war eine Sache, aber im echten Leben sah Ben mich nie so an.
Oder doch?
Ich musste wieder an den Strand der Copacabana denken, nach dem Sambadrom. Daran, wie er mich in den Armen gehalten hatte. Wie er mich angesehen hatte, nachdem er mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte. Er hatte mir etwas sagen wollen… war es das? Wollte er mir gestehen, dass er sich in mich verliebt hatte?
Und wenn ich ganz ehrlich war… hatte ich in dem Moment nicht auch etwas Neues empfunden? Vielleicht war es keine Liebe, aber ich erinnerte mich, dass es sich gut angefühlt hatte… und ich mehr wollte…
» Oh Gott, Rayna… ich glaube, zwischen Ben und mir wäre in Rio fast was passiert.«
» Was? Ganz langsam: Wann? Und was meinst du mit › fast passiert ‹ ? Was genau wäre fast passiert?«
» Ich bin nicht sicher«, sagte ich. » Es ging alles so schnell. Ich hab all diese Dinge gefühlt und er hat mich angesehen wie… wie auf diesem Bild und dann…«
» Ja??«
» Habe ich Sage gesehen.«
» Autsch!« Rayna zuckte zusammen. » Was hat Ben getan?«
» Nichts. Ich meine, ich bin Sage hinterhergerannt und… was dann geschah, weißt du ja schon. Wir haben nicht mal darüber gesprochen.« Ich sah sie traurig an. » Was soll ich denn jetzt machen?«
» Was willst du denn gerne machen?«
Ich dachte darüber nach. » Keine Ahnung.«
» Hm, wonach fühlst du dich?«, fragte sie.
» Das weiß ich auch nicht. Ich habe nie über Ben und mich nachgedacht, bis auf diesen Sekundenbruchteil in Rio und auch da habe ich es nicht richtig ernsthaft in Betracht gezogen. Und Sage… bei Sage denke ich ständig darüber nach, aber es ist alles so verworren: die Träume und anderen Leben und die Erinnerungen anderer Leute und… ich weiß schon gar nicht mehr, was real ist.«
Rayna hörte mir schweigend zu.
» Ich habe Ben total gern«, sagte sie. » Das weißt du. Ich glaube, dass ihr super zusammenpasst. Und ich glaube auch an Seelenverwandtschaft. Nicht nur als romantisches Abenteuer, sondern echte Seelenverwandtschaft, vom Schicksal bestimmt. Für immer, weil man füreinander gemacht ist. Seid ihr seelenverwandt, du und Sage? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass du dich selbst betrügst, wenn du nicht wenigstens versuchst, es herauszufinden.«
» Und wie soll das gehen, Rayna?«
» Du musst mir einen Gefallen tun. Versprich es mir bei unserer Freundschaft.«
» Was soll ich versprechen?«
» Erst fragen gilt nicht. Schwöre bei unserer Freundschaft.«
Es war eine hinterhältige Masche. Rayna wusste, dass ich das nicht abschlagen konnte, und sie wusste auch, wenn ich bei unserer Freundschaft geschworen hatte, dann würde ich mein Versprechen nicht brechen. Das würde keiner von uns beiden tun– das war eine Regel, die wir mit fünf Jahren aufgestellt hatten.
» Okay… ich schwöre bei unserer Freundschaft«, stimmte ich zu und verdrehte die Augen. » Und was habe ich dir gerade versprochen?«
» Dass du für den Rest des Abends deinen Kopf ausschaltest. Dass du nur auf dein Gefühl hörst und dich davon leiten lässt. Egal, ob es Sinn ergibt oder nicht.«
Ich nickte. » Ich werd’s versuchen.«
» Das reicht mir nicht. Du hast es bei unserer Freundschaft geschworen.«
Ich lächelte. » Ich mach’s.«
» Wunderbar.« Sie hob den Hörer des Zimmertelefons ab und wählte. » Hey! In einer Stunde Abendessen bei uns im Zimmer. Frag Sage, was für eine Pizza er mag… Okay, danke.« Sie legte auf und schnappte sich ihr Portemonnaie. » Gehen wir.«
» Wohin?«
» Abendessen holen. Es wäre ein Verbrechen, Pizza von einer Restaurantkette zu essen, wenn wir so nah an Manhattan dran sind. Komm!«
Ich dackelte ihr hinterher, aber
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