Elizabeth II.: Das Leben der Queen
«Never complain, never explain» – «Nie sich beschweren, nie kommentieren». Und das aus dem Innern der eigenen Familie heraus. Das Märchen von 1981 hatte sich in den Albtraum von 1995 verwandelt. Die Dämme waren freilich schon 1992, im
«annus horribilis»,
wie Elizabeth das Jahr nannte, gebrochen: Drei ihrer Kinder – Anne, Andrew und im Dezember Charles – hatten die Trennung von ihren Ehepartnern bekannt gegeben, und geheime Mitschnitte von intimen Telefonaten zwischen Diana und ihrem Liebhaber James Gilbey sowie zwischen Charles und Camilla hatten, 1992/93 ans Tageslicht gekommen, die letzten Hüllen des guten Geschmacks zerrissen. Publicity, dieses zweischneidige Schwert, wendete sich jetzt gegen die Monarchie und verwundete sie bis ins Mark. Ende 1995 konnte sich die Queen nur noch mit einem Schritt helfen, der ihrer Natur völlig widersprach: Sie mischte sich in das Privatleben ihres Erstgeborenen ein und forderte ihn und Diana in gleich lautenden Schreiben auf, sich scheiden zu lassen. Ende der Tragödie? Ein letzter Akt stand noch bevor.
Anfang August jeden Jahres zieht der Tross der Royals gen Norden, nach Schloss Balmoral im schottischen Hochland, wo eine zweimonatige Landpartie auf den Hofstaat wartet, mit endlosen Picknicks, Barbecues, Jagdausflügen, Dinners und schottischen Tanzvergnügungen, bis weit in den September hinein. So auch diesmal, 1997. Diana hasste diese Rituale, die nach altem Muster und in steifen Formen abliefen, durchsetzt mit Smalltalk, der über alles und nichts dahinplätscherte. Charles und Camilla dagegen sind vom Typus her Landedelleute, Pferde, Countryside und Jagd ihr Element. Auch Malen und Aquarellieren übrigens, eine nicht unwichtige Leidenschaft, die sie verbindet; auch der Herzog von Edinburgh ist ein nicht unbegabter Amateurmaler. Die Prinzessin von Wales jedenfalls war froh, mit der Scheidung, die Ende August 1996 in Kraft getreten war, den Balmoral-Ritus ein für allemal los zu sein und sich stattdessen Vergnügungen auf dem Mittelmeer hingeben zu können, zusammen mit ihrem neuen Freund Dodi al-Fayed, auf der Yacht von dessen Vater Mohamed, dem damaligen Besitzer des Kaufhauses Harrods. Die Söhne, William und Harry, vertrieben sich derweil ihre Schulferien bei der Großmutter und dem Vater auf Balmoral; ein Wiedersehen im Kensington Palast, der Residenz der Mutter, war für Anfang September geplant. Diana war zwar nicht mehr «Ihre Königliche Hoheit», aber immer noch Lady Diana, Prinzessin von Wales, und mit 17 Millionen Pfund Abfindung bei den Scheidungsverhandlungen nicht schlecht davongekommen.
Die Queen hatte auf «Balmoral Time» umgestellt, dem Vereinigten Königreich entrückt und nur durch die
red boxes
und die darin einzusehenden Staatspapiere mit London auf Tuchfühlung. Aber eigentlich weit, weit weg, Distanz hoch fünf. Die Nachricht vom Unfalltod in Paris traf sie wie alle Welt unvorbereitet, aber Elizabeth eher noch unvorbereiteter als andere. Ihr stoisches Naturell hatte ihr erlaubt, in 45 Jahren auf dem Thron alle Fährnisse der Zeit bravourös zu meistern, wenn auch weniger bravourös die Geschicke ihrer Familie. Die Fassungslosigkeit, die mit dem Tod der Ikone Diana das nationale Gemüt heimsuchte, konnte sie nicht nachempfinden und noch weniger die Erregung, die nun in den Medien anhob, nach dem Tenor der Schlagzeile des «Daily Express»:«Zeigen Sie uns, dass Sie mitfühlen.» Der «Mirror» sekundierte: «Sprechen Sie zu uns, Ma’am, bitte sprechen Sie.»
Aber die Queen zögerte, abgelenkt durch eine protokollarische Frage, die zunächst alle anderen Erwägungen beiseiteschob: Was tun mit dem Fahnenmast auf dem Dach des Buckingham Palastes? Der stand leer, denn die königliche Fahne wurde immer nur gehisst, wenn das Staatsoberhaupt anwesend war, und halbmast zu flaggen kam ohnehin nicht in Frage, das hatte es in der Geschichte noch nie gegeben, nicht einmal beim Tod eines Monarchen oder beim Tod einer nationalen Figur wie Winston Churchill, 1965. «War die Prinzessin wichtiger für die Nation als ein Churchill?», murmelte ein Hofbeamter erregt. Wie Etikette und Tradition dem königlichen Urteilsvermögen im entscheidenden Moment den Blick verstellen können, war an diesem Beispiel mustergültig abzulesen. Der Mast jedenfalls blieb in den ersten Tagen leer, und das Volk glaubte an dieser fehlenden Geste das Fehlen des Gefühls an oberster Stelle, im Herzen der Königin, feststellen zu müssen. Eine bedenkliche Situation bahnte
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