Elizabeth II.: Das Leben der Queen
Worte zu. So fuhr ich fort: ‹Wissen Sie, manchmal, wenn ich auf das Ergebnis eines dieser Pferde-Hindernisrennen warte, an denen der Prinz teilnimmt [David war ein eifriger, wenn auch nicht sehr begabter Reiter, der oft mit seinem Pferd stürzte], komme ich nicht umhin zu denken, das Beste, was ihm und dem Land passieren könnte, wäre, wenn er sich das Genick bricht.› ‹Gott verzeih mir›, antwortete SB [Stanley Baldwin], ‹das habe ich oft auch schon gedacht.›»
Und dann brach sich der Kronprinz tatsächlich das Genick, aber nicht beim Pferderennen, sondern weil er einer Amerikanerin begegnete: Wallis Simpson, geborene Bessie Wallis Warfield.
Dem moralischen Korsett Georges V. und seiner Gemahlin Queen Mary zum Trotz ging es mit dem Laissez-faire der Sitten unter der englischen Elite in den 20er und 30er Jahren recht munter zu. Die High Society, verheiratet oder nicht, stürzte sich in sexuelle Beziehungen mit permissiver Inbrunst. «Der Ehebruch war der Zeitvertreib der Aristokratie», wie Raymond Carr schrieb, vor der Öffentlichkeit schützte man sich mit eingespielter Diskretion. Bevorzugtes Ziel der Libido waren damals reiche Amerikanerinnen, die sich ihrerseits gern mit englischen Adelstiteln schmückten, etwa eine Consuelo Vanderbilt, verheiratet mit einem Cousin, dem 9. Herzog von Marlborough. Der Marquess of Londonderry, ein Ehebrecher der ersten Garnitur, hatte auch mit ihr ein Verhältnis, ehe er mit einer anderen Amerikanerin, einer verheirateten Schauspielerin, anbandelte, die ein Kind von ihm bekam – sechs Wochen vor seiner Hochzeit mit der adligen Edith Vane-Tempest-Stewart. Wie gut die
stiff upper lip
gerade unter solchen Umständen funktionierte.
In dem Panorama der freien Liebe durfte ein moderner Prinz von Wales nicht fehlen. So finden wir den Thronerben nach Abkühlen seiner Passion für Freda Dudley Ward und weiteren Amouren in den Armen der verheirateten Thelma, Viscountess Furness, wieder, Tochter aus amerikanischem Diplomatenhaus und Schwester der beiden Vanderbilt-Erbinnen Consuelo und Gloria. Thelma war ein mütterlicher Typ, ihre opulente Schönheit, so schrieb Cecil Beaton, erinnerte ihn an «die Blüte einer Treibhausmagnolie». Der Prinz fand in dieser Frau, deren Ehe kurz vor der Scheidung stand, jene Wärme und Zuwendung, nach der er seit seiner unerfüllten Jugend gesucht hatte. «Hinter seinem gewinnenden Lächeln verbarg sich eine einsame, traurige Person», befand Louis Mountbatten, Adjutant seines Vetters David auf mehreren von dessen Reisen. In der Tat schien eine undefinierbare Melancholie den Prinzen von Wales zu verfolgen, der Weltschmerz eines Byronschen Helden. So schaut er uns noch heute aus vielen seiner Fotos an.
Doch Thelma Furness beging im Januar 1934 einen folgenschweren Fehler: Wegen einer dringenden Reise nach Amerika bat sie ihre Freundin Wallis, verheiratet mit dem Schiffsmakler Ernest Simpson, sich «um den kleinen David während meiner Abwesenheitzu kümmern». Und wie sich diese um ihn kümmerte, die «katzengeschmeidige», «habgierige», «rücksichtslose» «Männer-Managerin», als die man Wallis bald wahlweise beschreiben sollte. Sie und der Thronerbe waren sich schon früher auf Empfängen und Partys der höheren Gesellschaft freundschaftlich nahe gekommen, aber nun ging alles ganz schnell: Als Thelma zwei Monate nach ihrem Abstecher in ihr Heimatland nach London zurückkehrte, war das Liebesnest besetzt. Wallis hatte ihre Chance wahrgenommen und das Herz des Prinzen auf Weiterfahrt in ihre Richtung gestellt. Schließlich hatte die 1896 Geborene schon auf der Mädchenschule in Baltimore gelernt, dass Initiative und Entschlossenheit essentielle Voraussetzungen seien für eine junge Frau, die im Leben aufsteigen wollte. In ihrer 1956 erschienenen Autobiografie mit dem Pascal-Wort «Das Herz hat seine Gründe» als bezeichnendem Titel, gab sie offen zu: «Eine junge Dame, so hatte man uns beigebracht, sollte auch den Wunsch zu siegen in sich tragen. Eine gewisse Aggressivität, einschließlich des freien Gebrauchs der Ellbogen, wurde als nützlich auf dem Weg empfohlen.»
1936, auf dem Höhepunkt der Krise, bestellte Nancy Dugdale, die Frau des parlamentarischen Privatsekretärs von Premierminister Baldwin, heimlich ein grafologisches Gutachten über Wallis Simpson bei der deutschen Handschriftenexpertin Gusti Österreicher, der sie eine Schriftprobe der Amerikanerin vorlegte. Die Grafologin sprach kein Wort Englisch und erfuhr auch nicht,
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