Elizabeth - Tochter der Rosen
seinen Händen. »Aber, mein Kind, erlaube nicht, dass er dir dein Leben bitter macht!«
Ein Klopfen an der Tür meldete Bischof Morton. Ich gab meinem Vater einen Kuss auf die Wange und verließ das Zimmer. An der Schwelle blieb ich einen Moment stehen und lauschte.
»Euer Gnaden, Frankreich bedroht weiterhin Burgund, und die Lage verschlimmert sich zusehends«, sagte Bischof Morton. »Eure königliche Schwester, die Herzogin von Burgund, bittet um Eure Hilfe für ihre Stieftochter, Maria von Burgund, gegen Ludwig von Frankreich. Sie hat eine weitere Nachricht geschickt, in der sie Euer Gnaden erinnert, dass unsere Handelsinteressen gefährdet sind.« Er reichte meinem Vater den Brief.
»Niemals«, erwiderte Papa und wischte den Brief beiseite. »Wir können nicht riskieren, Ludwigs Zahlungen einzubüßen. Und was ist mit Elizabeths Verlobung? Die dürfen wir ebenso wenig gefährden. Wenn meine Tochter erst Königin von Frankreich ist, wird alles richtiggestellt werden. Meine Schwester Meg soll nur warten. Sagen Sie ihr das: Sie soll warten.«
Leise schloss ich die Tür.
Wir begingen wieder ein wunderbares Weihnachtsfest, aber das neue Jahr 1482 begann mit einem schrecklichen Hagelsturm, und nur wenige feierten, weil es allen schien, als zögen die vier Reiter der Apokalypse übers Land. Die Ernte war so schlecht gewesen wie seit Jahren nicht mehr, und mit dem einfallenden Winter forderte die Hungersnot einen hohen Zoll. Auch aus Burgund erreichten uns schlimme Nachrichten, die meinem Vater Sorge bereiteten, denn er wollte weder den Handel mit Burgund verlieren noch Ludwigs Zahlungen. Im März starb meine Terrierhündin Jolie, und ich war für den Rest des Monats untröstlich.
Bald traf noch ein dringendes Schreiben von Tante Margaret aus Burgund ein. Ihr Mann, Maximilian von Österreich, brauchte dringend Englands Hilfe gegen König Ludwig von Frankreich, der behauptete, dass das Herzogtum Burgund in Ermangelung eines männlichen Erben nach dem Tod von Margarets vorherigem Ehemann Karl an Frankreich zurückfiele.Mein Vater indes sorgte sich mehr wegen Frankreich denn wegen Burgund. Ich hatte mein sechzehntes Lebensjahr erreicht, war folglich längst im heiratsfähigen Alter, und dennoch hatte König Ludwig noch nicht nach mir geschickt. Nachfragen meines Vaters beantwortete er vage und ausweichend.
Kurz nach Ostern, als die Krokusse und Narzissen ihre Köpfe aus dem Schnee im Palastgarten reckten, feierte mein Vater seinen vierzigsten Geburtstag. Meine Mutter richtete ein großes Fest aus, und Adlige aus dem ganzen Königreich reisten an. Paraden zogen durch die Straßen Londons, in denen die Balkone mit Gobelins und leuchtenden Seidenbehängen geschmückt waren; überall wurde geschlemmt, die Leute trugen Masken und führten Schauspiele auf, und große Freudenfeuer erhellten die Stadt. Ich wusste, dass die Mätresse meines Vaters, Jane Shore, unter jenen war, die zu den Feierlichkeiten bei Hof kamen, konnte sie aber inmitten der vielen adligen Damen weder an ihrer Kleidung noch an ihrer Haltung ausmachen.
Unsere Freude währte nicht lange. Am dreiundzwanzigsten Mai wurde meine vierzehnjährige Schwester Mary in der Blüte ihrer Schönheit und Jugend von einer Ohrenentzündung dahingerafft. Nie hatte ich solch einen Schmerz erlebt und so viele Tränen vergossen. Eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte, schlich ich mich aus dem Palast hinunter an den Fluss. Es hatte stark geregnet und war sehr dunkel, beinahe schwarz, denn der Mond schien nicht, und es gab kein Licht, nicht einmal irgendwelche Fackeln, weil sie allesamt vom Regen gelöscht worden waren. Ich saß am Wasser, hielt das Kreuz in der Hand, das Mary mir geschenkt hatte, und weinte, als plötzlich blaues Licht aufblitzte und ich Marys Stimme hörte, die »Elizabeth« rief. Ich sprang auf, blickte mich suchend um, doch es war niemand dort. »Mary?«, schrie ich. »Wo bist du? O Mary, Mary ...«
Einzig das Schwappen des Wassers durchbrach die Stille.Trotzdem wusste ich, dass es Mary gewesen war und dass sie sicher im Himmel angekommen war. Ich war voller Ehrfurcht, fiel auf die Knie und dankte Gott tränenreich, dass Er mir diesen Trost geschickt hatte.
Aber die Freude des wundervollen Moments wurde bald wieder von meinem Kummer überschattet. Über Wochen mochte ich weder essen noch mich mit anderen vergnügen. Ich hatte meine beste Freundin verloren, und das Jahr 1482 schien mir in einen schwarzen Umhang gehüllt.
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Im August trafen
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