Elizabeth - Tochter der Rosen
mich aus den kahlen Bäumen, als ich ein Stück Brot aus meinem Umhang holte und Krumen davon auf den Weg vor mir warf. Ein Spatz traute sich, zu mirzu kommen. Ängstlich hüpfte er näher und pickte eine Krume auf, dann noch eine. Dabei sah er mit einem Auge zu mir. Ich rührte mich nicht, trotzdem flog er fort, ohne weitere Krumen aufzupicken.
Wäre ich doch geflohen!, dachte ich. Er hätte mich nicht bekommen und so den Thron für sich sichern können.
Aber dann hätte es auch keinen Arthur gegeben. Wünschte ich etwa, dass mein ältester Sohn nie geboren worden wäre?
Das konnte ich mir nicht wünschen. Ich sollte an Königin Annes Worte denken: Du musst einen Weg finden zu leben. Du musst entscheiden, wofür du einstehen, wofür du kämpfen, wofür du sterben willst.
Ich hatte es für Arthur gewollt.
Meine Gedanken wurden von einem Stimmengemurmel unterbrochen, das der Wind mir zutrug. Ich drehte mich um und blickte zum Palast hinauf. Die hohen Fenster des Sonnenzimmers standen offen. Vorsichtig erhob ich mich von der Bank und trat näher an das Gemäuer. Nun konnte ich sie deutlich hören.
»Um in dieser Welt voller Feinde zu überleben, müssen wir jeden als Rivalen ansehen«, sagte Henry.
»Warum tötest du sie nicht alle, Vater? Dann brauchst du dir ihretwegen keine Sorgen mehr zu machen.«
»Nein, Harry, der Adel hat seinen Nutzen.«
»Was nützen die uns, wenn sie dauernd versuchen, dir den Thron zu stehlen?«
»Ein weiser König nutzt den Adel, um sich das Ansehen seines Volkes zu erwerben. Das gemeine Volk verehrt den Hochadel, weil dessen Familien sich bis in uralte Zeiten zurückverfolgen lassen. Wenn es sieht, dass wir diese Leute bei unseren Banketten bewirten, sie in unseren Prozessionen mitgehen lassen und sie zu Anführern unserer Armeen machen, schätzt dasVolk uns noch mehr. Aber du musst ein Auge auf die Adligen haben, vor allem auf jene königlichen Geblüts. Von denen musst du hin und wieder einige loswerden, sonst verbünden sie sich gegen dich. Gib ihnen keine Gelegenheit dazu, Harry!«
Ich stöhnte innerlich. Henrys Misstrauen gegenüber meiner Familie wuchs beständig. Mein Cousin, William de la Pole, der nicht mit seinem Bruder außer Landes geflohen war, war im Tower. Und auch Kates Gemahl, William Courtenay, der noch beim Turnier zu Arthurs Vermählung so geglänzt hatte, war in den Tower gesperrt worden. Wo sollte das alles enden?
Ich wagte nicht einmal, darüber nachzudenken. Mir fehlte schlicht die Kraft.
~
Wieder einmal stand ich am Fenster und blickte hinunter zu Harry, der wie so oft dieser Tage schmollend auf einer Bank saß.
»Er ist sehr unglücklich, seit Henry ihn hergebracht hat«, sagte ich zu Kate. Sie stand unweit von mir. »Er hat seine Freiheit verloren und ist zu jung, um zu begreifen, warum.« Ich konnte nicht umhin, Mitleid mit meinem Jungen zu empfinden, denn ich verstand sehr gut, was es bedeutete, eingesperrt zu sein. Er war in einem juwelengeschmückten Käfig gefangen, wie ich es viele Jahre gewesen war.
Kate sagte nichts. Sie trat stumm zu mir ans Fenster. Innerhalb weniger Monate hatten wir beide unsere Söhne verloren, und nun bangte Kate um William. Ich drückte ihre Hand.
»Liebe Schwester, es dauert mich unendlich, dass ich dir so wenig Hilfe sein kann ...« Meine Stimme versagte. Hatte Henry sich in seinem grenzenlosen Misstrauen einmal eingeredet, dass man gegen ihn intrigierte, ließ er es sich von niemandem ausreden. Und ich konnte seine Grausamkeit nicht bremsen.Für ihn war das Leben ein Krieg, den er täglich focht, um das zu bewahren, was ihm durch eine Wendung des Schicksals geschenkt worden war. »Es mag ein schwacher Trost sein, aber eines Tages wird Harry König sein, und wir haben über William gesprochen. Er versprach mir ...« Ein Blick zu Kate sagte mir, dass sie verstand. Sobald Harry König war, würde er William freilassen.
Kate wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Es ist nicht deine Schuld, Elizabeth. Auch wenn es mir das Herz bricht, William nicht mehr an meiner Seite zu haben, bin ich dankbar für die glücklichen Jahre, die uns vergönnt waren. Ohne dich hätte ich jemanden heiraten müssen, den ich mir nicht ausgesucht habe. Anne empfindet genauso. Wir reden oft davon – wie viel wir dir verdanken. Liebe Schwester, du hast immer so viel für uns getan, und dennoch war dir selbst fast nur Kummer beschieden.«
»Einmal, als ich noch ein Kind war und wir im Kirchenasyl«, erzählte ich leise,
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