Elizabeth - Tochter der Rosen
Tür. Wir warteten und versuchten, die Bedeutung der Rufe und der scheppernden Rüstungen zu entschlüsseln. Für einen Augenblick fühlte ich mich zurückversetzt zu jenem Tag, an dem mein Vater uns aus dem Kloster gerettet hatte. Wir hatten geglaubt, dass er in der Schlacht gefallen war, aber dann flog die Tür auf, und er stand da, groß und prächtig in schimmerndem Gold, und lächelte uns an. Die Männer jedoch, die nun in der offenen Tür erschienen, lächelten nicht. Ihre Mienen hätten kaum ernster sein können. Einen von ihnen erkannte ich: einen dunkelhaarigen jungen Mann aus dem Palast, Ritter der Leibgarde meines Vaters. Unsere Blicke begegneten sich, und mir wurde sogleich wärmer. Gleich darauf trat sein Captain vor und verneigte sich steif vor meiner Mutter.
»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«, fragte sie verächtlich.
»Sir John Nestfield, zu Euren Diensten, Euer Gnaden. Uns schickt seine Gnaden, der Duke of Gloucester. Wir sollen uns vergewissern, dass Ihr es bequem habt.« Bei diesen Worten fiel sein Blick auf die vielen Truhen, die sich in dem Raum stapelten.
»Wir werden es hier niemals bequem haben. Doch wenigstens sind wir sicher vor unseren Feinden«, antwortete meine Mutter spitz.
Sir John Nestfield zog eine Braue hoch und verneigte sich wieder. »Wir sind draußen, falls Ihr uns braucht.«
Die Tür schloss sich. Ich begann, in den Truhen zu suchen, und stieß auf ein Buch mit französischer Grammatik. »Cecily, hier ist etwas für dich, liebe Schwester.« Ich reichte ihr das Buch und nahm meine Laute auf.
~
Am Abend brachten uns die Mönche einen Krug Wein, einen Topf Lauchsuppe sowie einige Laibe frisch gebackenes Schwarzbrot. Ich stürzte mich auf das schlichte Abendessen, das mir köstlicher vorkam als manches Festmahl im Palast. Als meine Mutter und meine Schwester ruhten, ging ich mit meiner Laute hinaus in den Klostergarten. Ein schmaler Mond hing tief am Himmel, umgeben von unzähligen funkelnden Sternen, und die laue Luft duftete nach Rosen, Lilien und einem blühenden Birnbaum. Die Schatten der Soldaten und Mönche huschten durch den Hof. Ich wusste, dass sie alle mich beobachteten, was mir jedoch gleich war. Nachdem ich mir eine Bank im Kräutergarten gesucht hatte, spielte ich ein paar Akkorde auf meiner Laute an und erhob meine Stimme gen Himmel:
»Mal hierhin, mal dorthin getrieben,
wissen wir nicht, warum und wohin.
Und wovon uns nichts als Erinnerungen blieben,
die Geschenk und Trost seien fürderhin.
Über allem bist du, auch wenn wir dich nicht sehen ...
Auch wenn wir dich nicht sehen.«
Das Bild meines lachenden Vaters entstand vor meinen Augen. Tränenblind schaute ich hinauf zu den blinkenden Sternen am Nachthimmel. Plötzlich knackte hinter mir ein Zweig. Ich sprang auf und drehte mich um. Mein Herz pochte schnell.
»Verzeiht mir, Euer Gnaden«, vernahm ich eine Männerstimme. Er trat aus dem Schatten. »Ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich bin nur der schönen Melodie gefolgt, und sie führte mich zu Euch.«
Es war der junge Mann aus der Rittergarde meines Vaters.
»Sir Thomas Stafford of Grafton«, stellte er sich vor und verbeugte sich. »Ihr habt eine exquisite Stimme, Mylady. Wie ein Engel.«
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht zu schluchzen. »Mein Vater sagte mir früher dasselbe.«
»Euer Vater war ein großer König. Nichts ist mehr, wie es war, ohne ihn.«
»Ich weiß.«
»Ich vermisse ihn schmerzlich.«
»Danke«, sagte ich.
»Vielleicht möchtet Ihr einmal wieder hier draußen singen?«
»Vielleicht.«
»Erlaubt Ihr mir, Euch zurück zum Kloster zu begleiten?«
Ich blickte zu ihm auf, als ich meine Hand auf seinen Arm legte. Er besaß ein hübsches Profil und ein kantiges Kinn, das mich an Papa erinnerte. Rasch sah ich weg. Erinnerungen ... die Geschenk und Trost seien.
Aber sind sie das? Eher fühlten sie sich wie ein Verlust an, nicht wie ein Geschenk. Ich musste tief Luft holen, um mich zu wappnen, bevor ich in die Dunkelheit der Nacht schritt.
~
Fanfaren und Glockenschläge ertönten inmitten des plötzlichen Jubels. Ich kletterte über die Truhen an der Wand zum Fenster hinauf, weil ich nachsehen wollte, was vor sich ging. Der Blick auf den Fluss war teils versperrt von anderen Gebäuden und Dächern, und obgleich ich groß war, musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, damit ich etwas erkannte.
»Es ist mein Onkel Gloucester! Unser Cousin Buckingham ist bei ihm, und sie haben Edward auch bei sich!«, sagte
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