Elizabeth - Tochter der Rosen
Freunden, denen es gelang, sich hinreichend zu verkleiden, dass die Wachen sie durchließen.
»Seid auf der Hut, Euer Gnaden!«, lautete die geflüsterte Warnung. »Der Duke of Buckingham ist ein geborener Redner und will den Rat überzeugen, Euch Prinz Richard of York wegzunehmen.«
Meine Mutter drückte Dickon an sich. »Dich kriegen sie nicht!«, sagte sie zu ihm, strich ihm über das helle Haar und küsste seine zarte Wange. »Eher bringe ich sie mit bloßen Händen um, wenn es sein muss!«
Eines Abends jedoch traf zu fortgeschrittener Stunde eine königliche Delegation ein, angeführt von Thomas Bourchier, dem alten Erzbischof von Canterbury. Während die Lords im Sternenzimmer des Westminster Palace warteten, kamen der Erzbischof und Lord Howard zu meiner Mutter.
»Wie Ihr wisst, Euer Gnaden, haben wir uns mehrmals wohlmeinend bemüht, Euch zur Aufgabe Eurer Zuflucht hier undRückkehr in den Palast zu bewegen. Und Ihr weigert Euch«, sagte Erzbischof Bourchier mit betrübter Miene. Hinter ihm stand Lord John Howard an der Tür, dessen Haar unter der schwarzen Samtkappe wie das des Silberlöwen auf seinem Wappen schimmerte. Howard war einer jener Lords, denen Papa am meisten vertraut hatte, ein Yorkist durch und durch, und er blieb ihm sogar treu, nachdem meine Mutter ihm das Herzogtum Norfolk entzog, das ihm rechtmäßig gehörte, um es Dickon zu geben. Ich konnte nicht sagen, wem seine Treue nun galt, bezweifelte allerdings, dass wir es waren. »Daher kommen wir her, um Euren Sohn, Richard of York, notfalls mit Gewalt zu holen«, sagte Erzbischof Bourchier.
Ich erschrak, und Cecily schrie auf. Dickon rannte zu meiner Mutter und warf die Arme um ihre Röcke.
»Ihr, ein Erzbischof, wagt es, eine solche Drohung gegenüber Eurer Königin und Eurem Gott auszusprechen?« Blanke Furcht glänzte in ihren Augen. Sie hielt Dickon fest, der sich mit aller Kraft an sie klammerte.
»Wir handeln wider Euch, nicht wider Gott, und das aus guten Gründen.«
»Nennt mir einen!«
»Euer Gnaden, der Rat fürchtet, dass Ihr den Prinzen unter Vorgaukelung von Gefahr außer Landes schaffen könntet, sollte er weiterhin bei Euch bleiben.«
»Das ist keine Vorgaukelung! Er ist in ernster Gefahr, und zwar durch Gloucester!«
»Madame, die Wahrheit ist eher, dass Ihr Eure Kinder im Schutz der Kirche versteckt, um die rechtmäßige Regierung unseres Landes zu beschämen. Euer eigenes Machtbegehren treibt Euch an. König Edward – Gott sei seiner Seele gnädig! – hat Euch zum Wohle des Königreichs aus der Thronfolge ausgeschlossen, weil er Angst vor Euch hatte, Hoheit.«
Meiner Mutter fehlten die Worte. Sie brach in Tränen aus.
»Euer Gnaden, König Edward braucht die Gesellschaft seines königlichen Bruders«, sagte Erzbischof Bourchier etwas sanfter. »König Edwards Bruder muss bei der Krönung anwesend sein. Erlaubt uns, Prinz Richard zu ihm in den Bischofspalast zu bringen. Wir möchten keine Gewalt anwenden, sind jedoch befugt, es zu tun, solltet Ihr Euch weigern.«
Nachdem meine Mutter sich die Augen gewischt hatte, sah sie ihn an. Sie zitterte merklich und war aschfahl. Doch noch war sie nicht bereit, Dickon herzugeben. Da Tränen und Trotz nicht halfen, versuchte sie es mit Überredung. Schließlich fiel der Erzbischof ihr ins Wort.
»Madame, ich bin nicht gewillt, die Angelegenheit mit Euch zu erörtern. Mir ist es gleich, ob Ihr ihn mir freiwillig übergebt oder wir ihn uns nehmen, denn das Ergebnis wird dasselbe sein. Ab sofort steht Richard, Duke of York, unter unserer Obhut. Ein Unterschied bestünde indes. Falls Ihr ihn willig übergebt, schwöre ich bei meiner Ehre und meinem Leben, dass ihm kein Leid widerfährt. Falls nicht, reise ich umgehend ab und befasse mich fortan nicht mehr mit dieser Angelegenheit.«
Meine Mutter hatte verloren. Sie musste Dickon ausliefern, denn ihr blieb kein anderer Ausweg. Sie wirkte zutiefst verzweifelt.
»Ihr dürft diesen edlen Herrn mitnehmen«, sagte sie mit bebender Stimme. »Aber gewährt Ihr mir vorher noch einen Moment allein mit meinem Sohn?«
Erzbischof Bourchier nickte.
Mutter ging mit Dickon nach hinten in den Raum. Alle beobachteten sie, als sie sich vor ihn kniete und seine Hände nahm. Leise sprach sie mit ihm und wischte sich immer wieder die Tränen ab, während Dickon artig nickte. Ich hörte, wie sie flüsterte: »Weißt du noch das Losungswort?« , worauf er abermalsnickte. Welches Losungswort sie ihm gegeben hatte, konnte ich nicht
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