Elizabeth - Tochter der Rosen
ich.
»Ich will gucken!«, heulte Dickon.
»Ich auch!«, stimmten die vierjährige Kate, die achtjährige Anne und sogar die kleine Bridget ein.
»Aber ihr seid zu klein«, erwiderte ich. »Ihr könnt nicht einmal etwas sehen, wenn ich euch hier auf die Truhen hebe. Ich erzähle euch alles, versprochen, und lasse nichts aus!« Ich drehte mich wieder zur Straße. Die Prozession hatte sich weiterbewegt, und ich musst meinen Hals verrenken, um sie noch zu sehen.
»Die drei reiten vorne! Edward ist in blauen Samt gewandet, und Buckingham und Gloucester sind in Schwarz ...«
In den ohrenbetäubenden Jubelrufen gingen meine Worte fast unter. Ich bestaunte meinen Onkel auf seinem weißen Schlachtross. Wie majestätisch er aussah! Und obgleich es dunkel war, erkannte ich wehen Herzens die Ähnlichkeit mit meinem Vater. Aber wie sollte er ihm auch nicht ähneln, da er doch sein Bruder war? Ich blickte ihm nach, bis er in der Masse der Prozession verschwand.
Als meine Mutter in Tränen ausbrach, kletterte ich nach unten und legte einen Arm um ihre Schultern. »Weine nicht, liebe Mutter! Wir wissen nicht, was geschehen wird, doch mein Onkel Gloucester ist ein guter Mann. Er liebte Vater, und ganz sicher liebt er auch uns. Alles wird gut.«
~
Viele Leute besuchten uns an unserem Zufluchtsort, lieferten uns Waren, kümmerten sich um unsere Wünsche und brachten Neuigkeiten. Einer von ihnen war der Metzger John Gould. Er hatte sich seit dem letzten Mal, dass wir ihn sahen, sehr verändert. Ich entsann mich vage eines ungepflegt und beängstigend wirkenden Mannes, der stets eine blutige Schürze trug. Der alte Mann jedoch, der nun vor uns stand, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit meiner Kindheitserinnerung. Er war äußerst elegant gekleidet, hatte eine schwarze Samtkappe mit Juwelenbrosche auf dem Kopf und trug ein grünes Seidenwams mit einem schwarzen Umhang darüber, der mit Biberpelz besetzt und einer dicken Goldkette verziert war.
»Euer Gnaden.« Er machte eine tiefe Verbeugung. »Ich bin erschüttert, Euch wiederum an diesem Zufluchtsort zu sehen.«
»John Gould«, sagte meine Mutter und reichte ihm die Hand zum Kuss. »Wie freundlich von Ihnen, uns zu besuchen, und mich freut, Sie um so vieles vornehmer zu sehen als beim letzten Mal.«
»Was ich einzig Eurer Güte verdanke, Euer Gnaden. Dank Euch bin ich heute ein reicher Mann. Ihr habt mir einen großen Gefallen erwiesen, indem Ihr mich zum ersten Hoflieferanten für Fleischwaren machtet.«
»Wäre uns ein solch beachtlicher Aufstieg beschieden gewesen, hätte ich Sie eines Tages zum Bürgermeister von London ernennen können.«
Wieder verneigte er sich tief. »So Gott will, werdet Ihr bald wieder im Palast sein, Euer Gnaden. Bis dahin bin ich Euer treuer Diener und bringe Euch Fleisch, ganz gleich ob Ihr bezahlt oder nicht, Hoheit.«
»Ich danke Ihnen, John Gould. Gelobet sei der Herr, denn wir sind dieser Tage nicht so mittellos wie vor Barnet und folglich nicht auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen. Wir wärenIhnen indes verbunden, wenn Sie uns weiterhin besuchen und Nachrichten bringen, die für uns von Belang sein könnten.«
Eine Nachricht erhielten wir durch den Boten von Bischof Morton, einem Dominikaner-Pater.
»Gloucester hat nach mehr Männern aus dem Norden geschickt«, flüsterte der Mann. »Er sagt, es wäre nunmehr eindeutig, dass Euer Gnaden ihn und seinen Cousin, den Duke of Buckingham, zu ermorden trachtet, wie alles alte königliche Blut im Reich – ›auf subtile und verurteilenswürdige Weise‹. Seine Worte, Euer Gnaden«, berichtete der Dominikaner. »Er hat nach Norden geschrieben, dass man ihm eilig eine Armee zum Schutz vor Euch senden möge.«
Ich sah zu meiner Mutter. Wie konnte Gloucester sie einer solch monströsen Tat für fähig halten? Sie sollte Unschuldige töten wollen, nur weil königliches Blut in ihren Adern floss? Was hatte sie getan, sich diesen entsetzlichen Ruf zu verdienen?
Eine Botschaft vom Rat forderte meine Mutter auf, das Kloster zu verlassen und zurück an den Hof zu kommen.
»Auf dass Gloucester mich ermorden kann?«, fragte sie, als sie entschieden ablehnte.
Ungeduldig schritt sie an einem der langen Samtvorhänge entlang, mit denen der Raum geteilt war. »Falls Gloucester Edward krönt, bleibt ihm keine andere Wahl, als uns bei Hof zu empfangen. Und dann werde ich mich an ihm rächen!«
Mehrere Tage später, es war schon dunkel, wurde an unsere Tür geklopft. Als ich öffnete, fand ich mich
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