Elizabeth - Tochter der Rosen
einer Frau in einem Umhang gegenüber, deren Gesicht vollständig von der Kapuze überschattet war. Die Art, wie sie sich über die Schulter umblickte, ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit ihres Besuchs. Sie schlüpfte in den Raum, ohne auf eine Einladung zu warten.
Sobald die Tür hinter ihr geschlossen war, nahm die Besucherin ihre Kapuze ab, und nun erblickte ich eine Frau von unglaublicher Schönheit. Ihre Züge waren ebenmäßig, fein und von welligem goldenen Haar umrahmt. Ich ahnte gleich, dass es sich um meines Vaters bekannte und außerordentlich schöne Mätresse Jane Shore handeln musste, die nun meines Bruders Dorset Mätresse war.
»Ich komme, um Euch zu sagen, dass der Marquess of Dorset aus England geflohen ist, Euer Gnaden«, sagte sie mit einem Knicks vor meiner Mutter. »Ihr braucht Euch seinetwegen nicht mehr zu sorgen, denn er ist nun in Sicherheit.«
»Gelobet sei der Herr!«, rief meine Mutter aus.
Jane Shore jedoch erwiderte ihr Lächeln nicht. »Das ist die gute Nachricht, die ich bringe, indes habe ich noch andere, die weniger ergötzlich sind.«
Meine Mutter wurde ernst, und gespannte Stille senkte sich über den Raum.
»Dies sind gefährliche Zeiten für eine Dame, die auf sich allein gestellt ist«, sagte Jane Shore.
Ich erkannte, dass sie wegen etwas beschämt war, und ihre nun folgenden Worte erklärten, was es war.
»Da der Marquess of Dorset fort ist, bot mir Lord Hastings seinen Schutz an, und ich habe ihn angenommen. Ich habe keine eigenen Kinder und König Edwards Söhne stets geliebt.« Ihre schönen Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an. »Lord Hastings vertraute mir an, dass er fürchtet, Richard of Gloucester könnte seine Neffen in Gewahrsam nehmen, um selbst auf den Thron zu steigen.«
Ein stummer Aufschrei ging durch den Raum.
»Woher weiß er das?«, fragte meine Mutter.
Jane Shore blickte sich wieder ängstlich um, ehe sie antwortete: »Er weiß, dass sie Pläne schmieden, denn es gab mehrere geheime Ratssitzungen, von denen Lord Hastings ausgeschlossen wurde.«
»Aber Gloucester bereitet in diesem Moment Edwards Krönung vor. Warum sollte ich Hastings glauben? Er ist uns kein Freund. Er war mit Gloucester im Exil im Burgund und kämpfte bei Barnet und Tewkesbury an seiner Seite. Zudem begrenzte er die Zahl der Männer, die ich zum Schutze meines Sohnes forderte, und ermöglichte es Gloucester so, König Edward in Stony Stratford gefangen zu nehmen. Warum sollte es ihn kümmern, was jetzt mit meinem Edward geschieht?«, fragte sie misstrauisch.
»Seine Liebe zu Eurem Gemahl war aufrichtig, und Gloucester weiß das. Er ist sich überdies gewahr, dass Lord Hastings dem König schwor, seine Söhne zu schützen. Angesichts Gloucesters Drohung gegenüber den königlichen Prinzen bereut Hastings nun, Richard of Gloucester unterstützt zu haben, und möchte sich mit Euch aussöhnen. Er schickt mich her, um Euer Einverständnis zu erbitten, dass er Euren Sohn Richard of York aus England herausschmuggelt, damit er sicher ist. Mylord Hastings hofft, dass er, mithilfe einiger anderer auch den jungen König Edward aus den Klauen Gloucesters befreien kann. Hat er Euer Einverständnis, Euer Gnaden?«
Meine Mutter ergriff ihre Hände. »Hat er, Jane Shore.«
Wir warteten auf weitere Nachricht, doch es kam keine. Endlich, am dreizehnten Juni, erschien eine Nonne an unserer Tür.
»Ich bringe traurige Neuigkeiten! Der Plan, die Söhne von König Edward IV . zu befreien, wurde entdeckt«, flüsterte sie. »Lord Hastings wurde sofort enthauptet; man zwang ihn, seinen Kopf auf den Holzblock zu legen. Lord Stanley ist im Tower. Erzbischof Rotherham steht unter Arrest. Bischof Morton wurde Buckinghams Obhut übergeben und auf dessen Burg Brecknock in Wales geschickt. Mistress Jane ist im Tower.«
Unwillkürlich sah ich zu jenem Fenster, durch das ich zuletztmeinen Onkel Richard of Gloucester bestaunt hatte. Wie hatte ich mich in meinem Urteil über ihn so sehr täuschen können?
So entsetzlich, so grausam täuschen können?
KAPITEL 5
Nichte des Königs · 1483
A TEMLOS ERWARTETEN WIR jeden Tag neue Nachrichten, wohl wissend, dass die Abfolge der Ereignisse einem strömenden Fluss vergleichbar war, der beständig stärker anschwoll, bis er unausweichlich über die Ufer trat und uns alle hinwegspülte. Wir wagten nicht, uns vorzustellen, wohin uns die Flut reißen würde. Einstweilen erreichten uns wenige Nachrichten von Klosterbrüdern, Nonnen, Kaufleuten und jenen
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