Elizabeth - Tochter der Rosen
verstehen. Ihrem Abschied zuzuschauen erfüllte mich mit einem solchen Elend, dass es sich beinahe wie körperlicher Schmerz anfühlte. Ich biss mir auf die Unterlippe und wandte das Gesicht ab.
Das Seidengewand meiner Mutter raschelte laut, als sie sich aufrichtete. »Leb wohl, mein lieber Sohn! Gott der Allmächtige sei dein Beschützer, Dickon! Lass mich dich noch ein Mal küssen, bevor wir auseinandergehen, denn Gott allein weiß, wann wir uns wiedersehen!«
Es kostete sie sichtlich Kraft, sich zusammenzunehmen und ihn zum Erzbischof zu bringen.
»Ich gebe meinen Sohn in Eure Hände und vertraue auf Euch«, sagte sie mit belegter Stimme.
Während wir uns an der Tür versammelten, brachte Erzbischof Bourchier Dickon zu einer Gruppe von Adligen weiter hinten im Klostergang. Wir blickten seiner kleinen Gestalt nach. Ein letztes Mal drehte er sich noch um, bevor er verschwand, und selbst aus der Ferne konnte ich seine Tränen glitzern sehen.
~
Mutter war untröstlich. Sie weinte bitterlich, und ich konnte nichts tun oder sagen, um sie zu trösten. Schließlich schlief sie ermattet ein, doch selbst im Schlaf weinte und schrie sie.
Da ich keine Ruhe fand, schlich ich mich hinaus in den Kräutergarten. Sir Thomas Stafford, der Ritter, mit dem ich mich im Garten angefreundet hatte, sah mich herauskommen, wie ich es gehofft hatte, und folgte mir bis zum Ufer des Teichs hinter den Klostergebäuden. Es war ein kalter Abend, weshalb ich mir eine Decke umgehängt hatte. Wir setzten uns auf eine Bank.
»Wissen Sie, wie es Dickon geht, Thomas?«, fragte ich.
»Ihm geht es gut, Prinzessin. Die Abordnung der Adligen brachte ihn nach Westminster Hall, wo ihn der Duke of Buckingham in Empfang nahm. Buckingham nahm ihn an die Hand und begleitete ihn zu Richard of Gloucester, der an der Tür des Sternenzimmers auf ihn wartete. Gloucester umarmte Euren Bruder liebevoll und führte ihn zum Bischofspalast. Ich bin gewiss, dass Prinz Richard jetzt tief und fest schläft, im Gegensatz zu seiner Schwester.« Er schenkte mir ein sehr eindrucksvolles Lächeln.
Leider konnte ich es nicht erwidern. Zu gern würde ich ihm eine Frage stellen, von der ich wusste, dass ich sie nicht aussprechen durfte. »Thomas, müssen wir Angst haben?«
Selbst im Mondschein konnte ich das Staunen auf seinem hübschen Gesicht erkennen. Er ergriff meine Hand. »Elizabeth, meine teure Prinzessin, glaubt Ihr denn, ich könnte einem grausamen und verschlagenen Mann dienen – jemandem, der fähig ist, ein unschuldiges Kind zu verletzen?« Sein Tonfall war sanft, und seine braunen Augen betrachteten mich prüfend.
Eine ganze Weile konnte ich ihn nur ansehen. Aus seinen Zügen sprach nichts als Ehrbarkeit und Integrität.
»Nein«, antwortete ich. »Aber manchmal machen wir Fehler. Wir glauben, den Charakter eines anderen einschätzen zu können, doch wir irren.« Ich dachte daran, wie ich vom Fenster oben zugesehen hatte, als Richard of Gloucester vorbeiritt: wie edel er mir erschienen war und wie sehr er mich an meinen Vater erinnert hatte. Und dann fiel mir Jane Shores geflüsterte Warnung wieder ein: Richard of Gloucester will seine Neffen in Gewahrsam nehmen, um selbst auf den Thron zu steigen.
»Ich hoffe, dass ich Euch niemals enttäusche, meine Prinzessin«, sagte Thomas.
Ich sah ihn an. Seine schönen Augen und die kantigen Gesichtszüge fesselten mich.
»Sie werden mich nie enttäuschen, Thomas«, versicherte ich ihm. Ohne zu überlegen, nahm ich Marys silbernes Kreuz ab, das ich um den Hals trug, und gab es ihm. »Nehmen Sie dies, Thomas! Es soll Sie vor Unheil schützen.«
Er hob meine Hand an seine Lippen, und mein Herz schien an die Stelle zu springen, die er küsste.
~
Erst eine Woche später sah ich ihn wieder, und bis dahin war alles anders.
Wir hatten von unserer Wäscherin erfahren, dass die Krönung meines Bruders Edward, die für Sonntag, den zweiundzwanzigsten Juni, geplant war, verschoben worden war. An dem Tag, an dem sie hatte stattfinden sollen, hielt ein Geistlicher namens Dr. Ralph Shaw eine Predigt am St. Paul’s Cross, in die er einflocht, dass wir keinen Thronanspruch hätten und die Krone Richard of Gloucester zukäme. Es war eine hässliche Predigt, und uns tröstete, dass bis auf wenige Männer weit hinten in der Menge, die von Buckingham bezahlt wurden, niemand jubelte.
Es ist also wahr, dachte ich. Ich wollte nicht glauben, dass mein Onkel Gloucester, der uns gemocht und mit uns gespielt hatte, als wir klein
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